Avenir Suisse schlägt im Buch «Ideen für die Schweiz» vor, den Finanzausgleich so anzupassen, dass auch finanzschwache Kantone besser in den Steuerwettbewerb eingebunden werden. Die SP Schweiz sieht die Sachlage – wenig überraschend – etwas anders und ortet nicht ein «zu wenig», sondern ein «zu viel» an Steuerwettbewerb. Wortwörtlich: «Es ist heute im Gegenteil so, dass die ressourcenstarken Kantone zumindest partiell den ressourcenschwächeren Nachbarn ihre Tiefsteuerpolitik finanzieren.»
Finanzausgleichsschmarotzer, die ihre Steuern mithilfe der Transfers unzulässig senken? Man hört diesen Vorwurf immer wieder. Doch er könnte falscher nicht sein, denn er verkennt, erstens, das Wesen eines modernen Finanzausgleichs und er lässt sich, zweitens, faktisch nicht untermauern.
- Selbst wenn Finanzausgleichsbeträge tatsächlich zur Senkung der Steuerbelastung (anstatt für den Ausbau staatlicher Leistungen) verwendet würden, muss entgegnet werden: Na und?! Sinn des NFA, seit 2008 in Kraft und Vorbild für Finanzausgleichsreformen in anderen föderal organisierten Ländern, ist ja eben genau die zweckfreie Ausrichtung von Transfers an Kantone mit unterdurchschnittlicher Steuerkraft. Ob diese Beträge für Steuersenkungen oder den Ausbau staatlicher Angebote verwendet, oder – treiben wir es auf die Spitze – das Klo herunter gespült werden, ist Sache der betroffenen Kantone bzw. ihrer Steuerzahler. Die Zweckfreiheit ist wichtig, denn sie verhindert Anreizverzerrungen bei der Produktion staatlicher Dienstleistungen. Von den drei genannten Verwendungsmöglichkeiten scheint zudem die Steuersenkung nicht eben die schlechteste.
- Die Vorstellung, ressourcenschwache Kantone betrieben mit Hilfe der Finanzausgleichsbeiträge Steuerdumping zulasten ihrer beitragszahlenden Konkurrenten, ist schlichtweg nicht zutreffend: Im Durchschnitt erheben die Empfängerkantone deutlich höhere Steuersätze als die Beitragszahler (siehe Abbildung). Von 17 Empfängerkantonen ist die Steuerausschöpfung nur in zwei, Appenzell Innerrhoden und Obwalden, niedriger als im Durchschnitt der Beitragszahler. Ausgerechnet an Obwalden lässt sich der Vorwurf des Schmarotzertums trefflich wiederlegen. Dazu muss zuerst klargestellt werden, dass der NFA Ressourcenstärke nicht anhand der effektiven Steuereinnahmen des entsprechenden Kantons misst und ausgleicht, sondern anhand der potenziellen, die sich aufgrund einer virtuellen, durchschnittlichen Steuerausschöpfung ergäben. Eine Tiefsteuerpolitik lässt sich also nicht durch erhöhte Finanzausgleichsbeiträge kompensieren. Im Gegenteil: In Obwalden hat die Senkung der Steuerbelastung zu einem Zuzug von Firmen und vermögenden Privatpersonen geführt. Dadurch hat sich das Ressourcenpotenzial des Kantons innert weniger Jahre deutlich erhöht, nicht jedoch seine effektiven Steuereinnahmen. Wegen des erhöhten Ressourcenpotenzials bezieht OW heute markant geringere NFA-Beiträge als noch vor 4 Jahren. Davon profitieren wiederum die Beitragszahler. Spätestens der – absehbare – Wechsel Obwaldens vom Empfänger- zum Zahlerkanton wird die Schmarotzervorwürfe ad absurdum führen.
Ihr Urteil zum Avenir-Suisse-Vorschlag schliesst die SP mit «Der Wettbewerb soll nicht über die tiefsten Steuersätze, sondern über die besten Leistungen geführt werden». Ganz richtig! Nur: Das ist schon heute der Fall. Die Kantone sind sich sehr wohl bewusst, dass die Steuerbelastung nur einer von vielen Faktoren für die Standortattraktivität ist. Am besten zeigt das ein Blick auf die Verteilung der Unternehmenssteuerfüsse der Kantone (mehr dazu im Poster der neuen Ausgabe von «avenir aktuell»). Diese liegen in urbanen Kantonen mit hoher Arbeitsplatzdichte deutlich über dem Mittel – und zwar schlichtweg darum, weil diese Kantone mit ihrer Zentralität und den damit verbundenen Agglomerationseffekten auf andere wichtige Standortvorteile vertrauen können und sich deshalb allzu aggressive Steuersenkungen für sie nicht lohnen. Die Tiefsteuerkantone anderseits sind meist kleine, ländliche Kantone, die bezüglich natürlicher Standortfaktoren deutlich schlechter dastehen. Bei Ihnen nimmt der Faktor «Steuerbelastung» deshalb eine sehr wichtige Rolle ein. Ob der Standortwettbewerb also schwergewichtig über den Faktor «Preis» oder den Faktor «Leistung» geführt wird, muss folglich nicht eine politische Partei bestimmen, sondern ergibt sich im NFA ganz automatisch aus der individuellen Ausgangslage eines Kantons.
Dieser Artikel erschien in der Neuen Zürcher Zeitung vom 12.2.2013.
Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.