Das Milizsystem ist ein tragendes Element der schweizerischen Gemeindelandschaft. Die Gemeinden haben jedoch zunehmend Probleme mit der Rekrutierung von Milizpersonal. Immer häufiger werden z. B. Personen in stiller Wahl, also ohne Konkurrenz, ins Amt des Gemeindepräsidenten gewählt. In einer Umfrage beurteilten die meisten Gemeindeschreiber die Besetzung vakanter Ämter der Gemeindeexekutive mit qualifizierten Kandidaten als relativ schwierig (vgl. Abb.).
Veränderte Rahmenbedingungen und steigende Anforderungen
Für die zunehmende Knappheit von Gemeindepersonal gibt es mehrere Ursachen:
- In der modernen Arbeitswelt wird die Ausübung eines öffentlichen Amts neben der hauptberuflichen Tätigkeit immer schwieriger.
- Die steigende Mobilität der Bevölkerung senkt die Identifikation mit der Wohngemeinde und erschwert langfristige Engagements durch die Bürger.
- Die Anforderungen an die Gemeinden steigen fortwährend, und die Schwerpunkte der kommunalen Politik haben sich von politisch kaum umstrittenen Grundversorgungsaufgaben (Elektrizität, (Ab)Wasser, Kehrrichtentsorgung, Schulen) auf kontroversere Fragen im Bereich der Raumplanungs- und Sozialpolitik verlagert. Diese eignen sich für eine ehrenamtliche Tätigkeit mit nur sporadischen Büropräsenzzeiten deutlich schlechter als die früheren, eher formalisierten und routinisierten Aufgaben. Zudem steht der «Ertrag» in Form von Reputation und Macht in einem schlechteren Verhältnis zum «Aufwand» in Form von Arbeit, aber auch von öffentlicher Exponiertheit.
Wenn das Milizsystem noch lange Bestand haben soll, muss es deshalb zukunftstauglich gemacht werden. Im Folgenden werden zwei Lösungsansätze vorgestellt:
#1: Eine Vollzeitstelle für das Gemeindepräsidium
In den Kantonen St. Gallen und Thurgau ist das Gemeindedepräsidium in den meisten Gemeinden als Vollzeitstelle ausgestaltet. Die anderen Exekutivmitglieder arbeiten ehrenamtlich und in kleinen Pensen für die Gemeinde.
Der Spagat zwischen Teilzeitberufler und Milizpolitiker lässt sich damit vermeiden, gleichzeitig bedeutet dies aber auch eine teilweise Abkehr von der Milizpolitik. Der Gemeindepräsident fungiert als Vorsitzender des Gemeinderates (Exekutive) sowie der Gemeindeversammlung (Legislative) und ist gleichzeitig für die operative Führung der Gemeindeverwaltung verantwortlich.
Diese Organisationsstruktur erleichtert die Zusammenarbeit des Kantons mit den Gemeinden enorm, da der Kanton in der Gemeinde jederzeit einen professionellen Ansprechpartner hat. Auch die Koordination der Gemeindeinteressen mit den Partikularinteressen einzelner Bürger (man denke z.B. an die Behandlung von Einzonungsbegehren) wird erleichtert und beschleunigt.
# 2: Der Gemeindeschreiber als Geschäftsführer
Eine klare Trennung von strategischen und operativen Aufgaben erreicht man, wenn der Gemeindeschreiber die Geschäftsführung übernimmt. Während die Gemeindeexekutive sozusagen als «Verwaltungsrat» ausschliesslich die strategisch politischen Ziele festlegt, nimmt der Gemeindeschreiber die Rolle eines CEO wahr, der als Chef der Gemeindeverwaltung für die operative Umsetzung dieser Ziele verantwortlich ist. Ihm unterstellt sind sämtliche Stabsstellen wie z.B. die Finanzkontrolle.
Durch die Stärkung der Verwaltungsführung wird dem Milizgedanken in der Gemeindeexekutive besser Rechnung getragen. Das System ermöglicht die Verkleinerung der Pensen und macht die Tätigkeit als Gemeinderat oder -präsident für einen grösseren Personenkreis attraktiv.
In Luzern wird dieses Konzept schon von einigen Gemeinden angewendet: 2011 haben immerhin schon sieben Luzerner Gemeinden das Geschäftsführermodell eingeführt – grösstenteils mit sehr hoher Akzeptanz, sowohl bei den Direktbeteiligten als auch unter der Bevölkerung. Das Pensum des Gemeindepräsidenten wurde beispielsweise in Rothenburg von 100% auf 30% gesenkt und den ebenfalls leicht gesenkten Pensen der übrigen Gemeindeexekutive angepasst, womit eine politische Gleichwertigkeit innerhalb der Exekutive erreicht werden konnte.
Das nächstliegende Mittel, um die Knappheit an politischen Entscheidungsträgern zu entschärfen, ist allerdings die Fusion. Dadurch kann die Nachfrage nach Exekutivmitgliedern gesenkt und die Attraktivität der fraglichen Gemeindeämter erhöht werden.
Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in der Avenir-Suisse-Studie «Gemeindeautonomie zwischen Illusion und Realität».