Die Versorgungssicherheit im Winter macht der Schweiz Sorgen. Wenn die Kernkraftwerke stillgelegt werden und Wärmepumpen sowie E-Autos Strom brauchen, droht in der kalten Jahreszeit eine riesige Lücke. Solarstrom soll deshalb neben der Wasserkraft zum zweiten grossen Pfeiler der Energieversorgung werden. Doch bisher wurde eine Folge der Energiewende weitgehend ausgeblendet: Auch im Sommer drohen Schwierigkeiten – wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen als im Winter.

Wenn immer mehr Solarzellen auf Dächern und Fassaden montiert werden, fallen im Sommer in gewissen Stunden enorme Überschüsse an. Übers Jahr gesehen produziert die Schweiz bei einem starken Ausbau der Solarkapazitäten zwar so viel Strom, wie sie benötigt. Aber viel hilft nicht viel, wenn im Sommer mehr produziert als nachgefragt wird, während es im Winterhalbjahr umgekehrt ist.

Im Jahr 2050 werden voraussichtlich 50 Gigawatt Solarmodule auf Dächern installiert sein. An einem wolkenlosen Sommertag wird somit kurzzeitig sehr viel Strom produziert, den niemand umgehend benötigt. Schon heute, bei erst 6 Gigawatt Leistung durch Solaranlagen, kommt es immer öfter an der Strombörse zu negativen Preisen. Im laufenden Jahr war dies bereits in 242 Stunden der Fall (Stichtag 20. August). In diesen Stunden zahlen die Produzenten den Abnehmern sogar noch Geld.

In den letzten fünf Jahren hat die Schweiz im Sommer jeweils rund 5 Terawattstunden (TWh) Strom exportiert, was etwa einem Fünftel des Verbrauchs entsprach. Werden die (verbindlichen) Ziele des Energiegesetz erreicht, könnte die Produktion im Sommerhalbjahr den Verbrauch um 20 TWh übersteigen (vgl. Abbildung).

Riesige Stromüberschüsse im Sommer: 20 TWh im Jahr 2035, falls die Ziele des Mantelerlasses erreicht werden.

Damit stellen sich zwei Fragen: Erstens, wie wird garantiert, dass die sommerliche Stromschwemme nicht die Netze überlastet, so dass im schlimmsten Fall ein Blackout droht? Diese Frage werden wir in einem zweiten Teil beantworten. In diesem ersten Teil gehen wir dagegen der Frage nach, ob man den Überschuss von 20 TWh Sommerstrom ins Winterhalbjahr retten könnte. In den Wintermonaten hat die Schweiz über die letzten Jahre im Schnitt 5 TWh Strom importiert, also rund einen Sechstel des Verbrauchs. Und dieses Defizit könnte sich über die nächsten Jahrzehnte mehr als verdoppeln.

Kilowatt oder Kilowattstunde?

Zugegeben, das kann verwirrend sein: In diesem Artikel ist zuweilen von Kilowatt (kW), dann wieder von Kilowattstunden (kWh) die Rede, oder von Megawatt (= 1000 kW) oder Megawattstunden (= 1000 kWh). Was ist der Unterschied? Man kann die Analogie mit einem Wasserhahn heranziehen. Mit einer bestimmten Kraft fliesst das Wasser aus ihm heraus. Das Pendant zu dieser Kraft ist beim Strom das Kilowatt. Wenn man mit dem Wasserhahn eine Badewanne füllt, dann braucht dies abhängig von der Leistung des Hahns eine Weile. Das Analoge beim Strom wäre hier die Kilowattstunde.

Um noch ein Beispiel aus dem Strombereich zu machen: Angenommen eine Waschmaschine hat eine Leistung von 1 Kilowatt. Ein Wäschedurchgang dauert etwa eine Stunde. Damit verbraucht die Waschmaschine in einem Durchgang Energie im Umfang von 1 Kilowatt x 1 Stunde, also 1 kWh. – Jetzt werden Sie Kilowatt und Kilowattstunde bestimmt nie mehr durcheinanderbringen.

Hunderte Pumpspeicherkraftwerke

Die Schweiz ist das Land der Speicherseen. Diese haben ein Speichervolumen von 9 TWh – 15 Prozent des Jahresverbrauchs – und sind gerade im Winter essenziell. Im Sommer füllen Niederschläge und Schneeschwemme diese Reserven. Will man aber Sommer- in Winterstrom verwandeln, braucht es etwas anderes. Die erste Möglichkeit, die wir analysieren, sind Pumpspeicherkraftwerke. In einem Pumpspeicherkraftwerk lässt sich überschüssiger Strom von einem tieferen in einen höher gelegenen See pumpen. Im Winter würde man das hochgepumpte Wasser wieder in den unteren See ablassen. Das Wasser treibt dabei Turbinen an, die Strom erzeugen.

Im Jahr 2022 hat Alpiq das Pumpspeicherkraftwerk Nant de Drance in Betrieb genommen. Es hat 2,1 Mrd. Franken gekostet. Der obere See enthält dabei so viel Wasser, dass damit 20 Gigawattstunden (GWh) Strom produziert werden können. Wenn man 20 TWh Sommerstrom hochpumpen würde, erhält man im Winter 16 TWh Strom zurück, da die mechanischen und elektrischen Verluste sich auf etwa 20 Prozent belaufen. Man müsste somit 800 Nant de Drance bauen, was 1700 Mrd. Franken kosten würde – also mehr als zwei Mal die Schweizer Wirtschaftsleistung. Nicht nur die Kosten wären exorbitant, man müsste auch unzählige Täler fluten.

Pumpspeicherkraftwerke spielen in der Energiewende zwar eine wichtige Rolle: Sie können billigen Überschussstrom speichern und nachts oder morgens wieder abgeben, wenn die Sonne (noch) nicht scheint. Nant de Drance hat 2023 denn auch eine Terawattstunde Strom geliefert. Der obere Stausee wurde damit umgerechnet fast einmal pro Woche gefüllt und wieder entleert. Für eine saisonale Speicherung sind Pumpspeicherkraftwerke jedoch völlig ungeeignet, wie die vorherige Überschlagsrechnung gezeigt hat.

Kanton Thurgau für Batteriespeicher

Liesse sich der Strom stattdessen in Tesla-Megapacks speichern? Das sind Batterien von der Grösse eines Containers. Ein Megapack speichert 3,9 Megawattstunden (MWh) Strom. Man müsste in der Schweiz also 5,1 Millionen dieser Megapacks laden und im Winterhalbjahr entladen, wobei sich die Verluste bei Lithium-Ionen-Batterien auf 1 bis 2% pro Monat belaufen.

Ein Megapack kostet umgerechnet 1 Mio. Franken. Damit würden sich die Anschaffungskosten für 5,1 Mio. Megapacks auf 5,1 Billionen Franken oder eine halbe Million Franken pro Einwohner belaufen. Die Fläche, um all die Megapacks aufzustellen, wäre zudem so gross wie der Kanton Thurgau.

Wie Pumpspeicher werden auch Batteriespeicher für die Energiewende wichtiger, etwa für die Netzstabilität. Aber auch hier steht der kurzfristige Einsatz über Stunden im Vordergrund, nicht die saisonale Speicherung. Dafür sind die Kosten und ist der Materialverbrauch viel zu hoch. An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts, wenn sich die Kosten wie erwartet bis 2030 noch einmal halbieren.

Zauberwort Wasserstoff

Pumpspeicherkraftwerke und Batterien können es also nicht richten. In Diskussionen zur Winterspeicherung fällt spätestens an dieser Stelle das Zauberwort Wasserstoff. Die Idee klingt plausibel: Man nimmt den überschüssigen Solarstrom, betreibt damit einen Elektrolyseur, der Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet. Wasserstoff lässt sich zum Beispiel in ehemaligen Salzkavernen oder Gaslagerstätten speichern. Im Winter können mit dem ökologisch hergestellten Wasserstoff Gasturbinen angetrieben werden. Es entsteht knapper Winterstrom.

Die Herstellungskosten von Wasserstoff hängen von der Auslastung des Elektrolyseurs und vom Strompreis ab, mit dem er betrieben wird. Elektrolyseure haben hohe Fixkosten. Damit sie sich rentieren, sollten sie 4000 bis 5000 Volllaststunden pro Jahr erreichen. Will man Elektrolyseure jedoch allein mit überschüssigem Solarstrom betreiben, sind solche Zahlen nicht erreichbar. Lugano als sonnenreichste Stadt weist 2023 rund 2300 Sonnenstunden auf, viele Gebiete im Mittelland liegen unter 2000 Stunden. Spanische Städte kommen immerhin auf 3000 bis 3500 Sonnenstunden. Elektrolyseure unter Schweizer Bedingungen einzusetzen, dürfte deshalb wenig effizient sein. Allenfalls könnte man die Auslastung mit Strom aus anderen Quellen wie Kehrichtverbrennungsanlagen oder Laufwasserkraftwerken verbessern. Der Strom wird aber zu Zeiten, in denen die Anlagen nicht mit billigen Überschüssen ausgelastet sind, deutlich teurer sein.

Zudem sind die Energieverluste bei der Produktion von Wasserstoff und der anschliessenden Verstromung gross. So gehen bei der Umwandlung von Strom in Wasserstoff 30 Prozent der Energie verloren. Ein niedriger Wirkungsgrad ist in sonnenreichen Stunden indes nicht das grösste Problem, da dann die Strompreise niedrig oder sogar negativ sind. Bei der Rückverstromung liegt der Wirkungsgrad eines Gaskraftwerkes bei maximal 60 Prozent. Damit werden aus 20 TWh Sommerstrom maximal 8,5 TWh Winterstrom.

Investitionen in die Herstellung von Wasserstoff sind in jedem Fall ein kostspieliges Unterfangen. Heute sind weltweit Elektrolyseure mit einer Leistung von rund 3000 Megawatt im Einsatz. Um 20 TWh Sonnenstrom während zum Beispiel 1000 Stunden zu verarbeiten, braucht es somit Kapazitäten der Elektrolyseure von 20’000 Megawatt – also fast sieben Mal so viel wie heute weltweit im Einsatz sind.

Die Investitionskosten werden vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme für das Jahr 2030 auf 500 Franken pro Kilowatt Leistung für einen Elektrolyseur geschätzt. Für 20’000 MW wären das 10 Mrd. Franken. Würde man die Anlagen heute bestellen, kosteten sie sogar 20 Mrd. Franken. Rechnet man noch die indirekten Kapitalkosten wie Ingenieursleistungen sowie Versicherungen dazu, kommt die Beratungsfirma KPMG sogar auf 2000 Franken pro Kilowatt Leistung, was 40 Mrd. Franken entspräche.

Höhere Kosten als ein grosses Kernkraftwerk

In einem zweiten Schritt müsste man den produzierten Wasserstoff speichern. Die Schweiz hat keine alten Salzkavernen, die sich hierfür eigenen würden. Vielmehr würde sie in verkleidete Felskavernen (Lined rock caverns) investieren müssen. Deren Kapitalkosten variieren jedoch enorm. In der Literatur liest man Zahlen von 0,4 bis 3,5 Dollar je kWh. Hochgerechnet auf 13 TWh (die von 20 TWh als Wasserstoff nach der Elektrolyse übrigbleiben), wären dies grob 5 bis 40 Mrd. Franken – die Bandbreite ist somit riesig.

Zu guter Letzt braucht es noch Gaskraftwerke, um aus dem Wasserstoff wieder Strom zu machen. Wenn ein Gaskraftwerk mit einer Kapazität von 500 MW in den kritischen Wintermonaten November bis Januar läuft (2000 Stunden), produziert es 1 TWh Strom. Es braucht somit 8,5 solcher Kraftwerke, die je rund 700 Mio. Franken kosten dürften. Dies wären 6 Mrd. Franken.

Somit summieren sich die Investitionskosten für den «Hoffnungsträger» Wasserstoff auf 20 bis 86 Mrd. Franken, je nach Kosten der Elektrolyseure und der Speicher. Zum Vergleich: Mit diesem Geld könnte man rund ein bis drei grosse Kernkraftwerke bauen, selbst wenn man Endlagerkosten einrechnet. Ein solches KKW würde während 60 Jahren 13 TWh Strom pro Jahr produzieren, davon die Mehrheit im Winterhalbjahr, weil man die Revisionen der Kraftwerke in den Sommermonaten durchführt.

Welche Investitionen braucht es, um 20 Terawattstunden Strom für den Winter aufzubewahren?

BestandteileInvestitionskosten
Pumpspeicher800 Nant de Drance à 2,1 Mrd. Fr.1700 Mrd. Fr.
Batterien5,1 Mio. Tesla Megapacks à 1 Mio. Fr.5100 Mrd. Fr.
Wasserstoff
Elektrolyseure
Speicher
Gasturbinen
20 bis 86 Mrd. Fr.
Zum Vergleich: Teures KernkraftwerkKernkraftwerk Flamanville (Frankreich) 18 Mrd. Fr.
Entsorgung/Rückbau 10 Mrd. Fr.
28 Mrd. Fr.

Die Berechnungen zeigen, dass es derzeit keine bezahlbare Möglichkeit gibt, Sommerstrom in riesigen Mengen in den Winter zu verschieben. Wenn eine der drei Technologien überhaupt in Frage kommt, dann die Wasserstoff-Variante, doch müsste man hierfür eine riesige Infrastruktur errichten, die es noch nirgends gibt. Deshalb sind hier auch die Kostenschätzungen sehr unsicher. Der mit einer Kleinanlage gewonnene Strom aus ökologischem Wasserstoff kostet laut einer Studie des Paul-Scherrer-Instituts derzeit 470 Franken je Megawattstunde. Bis 2030 könnten diese Kosten auf 150 bis 200 Franken sinken, so die Schätzungen. Das wäre noch zwei bis drei Mal so viel wie die derzeit an der Börse für 2030 gehandelten Termingeschäfte.

Bis auf weiteres sollte man den Strom, der im Sommer produziert wird, somit auch zeitnah verbrauchen. Im zweiten Teil des Blogs zeigen wir deshalb auf, wie Produktion und Verbrauch besser aufeinander abgestimmt und Netzüberlastungen vermieden werden können.  

Teil 2: «Rezepte gegen Überproduktion»