Die dänischen Banken vergeben routinemässig Festhypotheken über dreissig Jahre: Jeder Hypothekarkredit muss sofort in einen Pfandbrief verpackt und einem Endinvestor weitergereicht werden.
Erhalten die Schweizer Hauseigentümer die Hypotheken, die sie sich wünschen? Es gibt gute Gründe, daran zu zweifeln. Nicht wenige Hypothekarkunden würden gerne vom gegenwärtigen Niedrigzinsniveau profitieren und Festhypotheken mit möglichst langer Laufzeit abschliessen. Doch dies ist hierzulande nur begrenzt möglich. Die Laufzeiten betragen maximal und eher ausnahmsweise fünfzehn Jahre, während anderswo dreissigjährige Festhypotheken das Standardprodukt schlechthin sind, so beispielsweise in Dänemark und in den USA.
Warum die Unterschiede? Die Schweizer Hypothekarbanken scheuen sich davor, längere Laufzeiten anzubieten, weil sie beträchtliche Marktrisiken sehen. Besonders das Zinsänderungsrisiko macht ihnen zu schaffen. In der Schweiz werden Hypotheken hauptsächlich mit Spardepositen finanziert. Die Sparer werden dafür mit einem variablen Sparzins entschädigt. Zudem dürfen sie ihre Ersparnisse relativ kurzfristig abziehen. Steigt nun das Zinsniveau unerwartet, müssen die Banken plötzlich für das entgegengenommene Geld mehr bezahlen, als sie von ihren Hypothekarkunden fix erhalten. Dieses Risiko ist umso höher, je länger die Laufzeit der Festhypotheken dauert.
Besser als Fannie und Freddie
Zwar können die Banken Absicherungsinstrumente zur Steuerung der Marktrisiken einsetzen. Die Absicherungskosten sind bei sehr langen Laufzeiten jedoch so prohibitiv, dass sie sich kaum auf die Hypothekarnehmer überwälzen lassen. Zu solchen Kosten tragen die Schweizer Hauseigentümer das Zinsänderungsrisiko lieber gleich selbst.
In den hauseigentumsfreundlichen USA übernimmt hingegen der Staat – mit seinen berüchtigten Hypothekarriesen Fannie Mae und Freddie Mac – die Restrisiken. Im Notfall bürgen dafür die Steuerzahler.
Es gibt jedoch einen dritten Weg, bei dem die Banken ohne Staatsgarantie dennoch die Produkte anbieten, die die Kunden wollen – und den die Dänen bereits vor 200 Jahren eingeschlagen haben. Nicht nur gewähren die dänischen Banken routinemässig dreissigjährige Festhypotheken, die dänischen Hauseigentümer haben auch die Option, ihre Hypothek jederzeit zum Nominalwert zurückzuzahlen.
Sie können sich also bei fallenden Zinsen mit einer zinsgünstigeren Hypothek refinanzieren, ohne dafür der Bank eine sogenannte Vorfälligkeitsprämie zu schulden. Bei steigenden Zinsen haben sie zusätzlich die Möglichkeit, ihre Schuld zum Marktpreis zurückzukaufen. Dies ist in der Schweiz zwar möglich, bleibt allerdings mit hohen Kosten verbunden.
Das Ei des Kolumbus verdanken die Dänen einer intelligenten Mischung aus Regulierung und Markt. Jeder Hypothekarkredit muss unmittelbar in einem Pfandbrief verpackt und einem Endinvestor – einer Pensionskasse oder Versicherung – abgetreten werden. Die Hypothekarbanken dürfen keine Spardepositen entgegennehmen; somit ist das Hypothekargeschäft vom übrigen Bankgeschäft vollkommen getrennt. Das dänische Modell hat entscheidende Vorteile.
Hypothekarbanken übernehmen kein Marktrisiko. Ihr Insolvenzrisiko ist damit stark reduziert. Das Marktrisiko wird an Investoren übertragen. Sie sind besser als Banken in der Lage, es zu tragen.
Die Banken sind weiterhin für die Kundenbeziehung verantwortlich. Sie sorgen unter anderem dafür, dass ihre Kunden die geschuldeten Zins- und Amortisationszahlungen leisten. Damit unterscheidet sich das dänische Modell von der Verbriefung amerikanischer Prägung, bei der sämtliche Risiken (inklusive Ausfallrisiko) den Investoren abgetreten werden – mit den bekannten Konsequenzen.
Der dänische Pfandbriefmarkt ist gross und liquid und entsprechend attraktiv für die Investoren. Obwohl Dänemark nur 5,5 Mio. Einwohner zählt, ist der Pfandbriefmarkt rund fünfmal grösser als derjenige der Schweiz. In der Schweiz ist die Bedeutung des Pfandbriefmarktes nicht zuletzt aus rechtlichen und steuerlichen Gründen gering. Der rechtliche Rahmen für Schweizer Pfandbriefe ist durch das Pfandbriefgesetz von 1931 sehr eng gehalten. So ist es gemäss dem Pfandbriefgesetz zwei Instituten in der Schweiz vorbehalten, Pfandbriefe zu emittieren. Auch die Emissionsabgabe stellt einen zusätzlichen belastenden Faktor dar.
Sogar Thomas Jordan, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank, hatte auf die Besonderheit hingewiesen, dass sich die öffentliche Hand als einer der grössten Emittenten diese Abgabe zum grossen Teil selbst bezahlt.
Dies ist nicht nur schade für die Produktvielfalt des Schweizer Hypothekarmarktes. Denn das dänische Modell hat auch Vorteile für die Stabilität des Finanzmarktes. In unsicheren Zeiten trägt die Option, die eigene Hypothek zum Marktpreis zurückzukaufen, zusätzlich zur Stabilität des Finanzmarkts bei. Fänden plötzlich die Investoren keinen Gefallen an den dänischen Pfandbriefen mehr, würde ihr Preis fallen. Dies würde den Hauseigentümern die Gelegenheit bieten, günstig ihre Hypothek zu amortisieren, was den Preiszerfall bremsen würde.
Stabil ohne Regulierungsflut
Die letzte Finanzkrise hat eindrücklich gezeigt, wie wichtig der Hypothekarmarkt für das Gedeihen einer Volkswirtschaft ist. In der Schweiz versuchen die Regulatoren, aus Angst vor einer Immobilienblase vermehrt Stabilität per Dekret zu erzwingen. Mit Vorschriften für Ausnahmegeschäfte und komplizierten Eigenkapitalregelungen werden jedoch die Risiken einer Beanspruchung der Staatsgarantien durch die Hypothekarbanken nur symbolisch reduziert.
Das Beispiel Dänemark zeigt, dass Finanzstabilität auf dem Hypothekarmarkt auch ohne komplexe Vorschriften möglich ist. Dafür müssten aber die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Nicht zuletzt würden auch die Hypothekarkunden davon profitieren.
Dieser Artikel erschien in der «Finanz und Wirtschaft» vom 28. November 2012.
Mit freundlicher Genehmigung der «Finanz und Wirtschaft».