Unser Steuersystem weist Schwächen auf und eine Reform ist längst überfällig – darüber ist man sich in der Politik grösstenteils einig. Uneinigkeit herrscht hingegen bezüglich der besseren Ausgestaltung der Familienbesteuerung: Während zurzeit Unterschriften für eine Initiative zur Einführung der Individualbesteuerung gesammelt werden, wurde bereits die Lancierung einer Initiative für ein Splittingmodell angekündigt.
Die beiden Reformvorschläge fokussieren dabei auf unterschiedliche Probleme. Beim Splitting steht die Abschaffung der Heiratsstrafe im Vordergrund: Damit ist gemeint, dass manche Ehepaare steuerlich stärker belastet werden als unverheiratete Paare mit gleichem Einkommen. Beim Vollsplitting wird das Gesamteinkommen von Ehepaaren zur Berechnung des Steuersatzes halbiert. Durch dieses Vorgehen wird die Heiratsstrafe oft mehr als nur beseitigt. Manche Ehepaare werden dadurch gar entlastet; Am meisten profitieren jene mit ungleicher Einkommensverteilung. Der Grund dafür liegt in der Steuerprogression.
Doch unser Steuersystem ist auch ein Hindernis für ein erhöhtes berufliches Engagement der Frauen: Die gemeinsame Veranlagung der Ehepaare führt dazu, dass das Einkommen der Ehefrauen – in der Regel sind sie die Zweitverdienerinnen –im Durchschnitt einer um 50 Prozent höheren Steuerbelastung unterliegt als das Ersteinkommen. Das bestehende Steuersystem setzt für verheiratete Frauen also den Anreiz, nicht oder nur in tiefen Pensen erwerbstätig zu sein.
Diese «Zweiteinkommensstrafe» verringert sich bei Splitting jedoch kaum: Denn die Steuerbelastung für die Zweitverdienerin ist beim Splitting nach wie vor höher als für den Hauptverdiener. Gerade weil verheiratete Frauen ihr Arbeitspensum bei einer Veränderung des Einkommens stärker anpassen als Männer, wäre es jedoch sinnvoller, wenn (verheiratete) Frauen tiefer besteuert würden als Männer.
Genau dies trifft zu, sobald Ehepaare getrennt veranlagt werden: Bei der Individualbesteuerung liegt die Steuerlast des Zweiteinkommens deutlich unter jener des Ersteinkommens. Dies führt zu höheren Erwerbsanreizen für verheiratete Frauen. Die Einführung der Individualbesteuerung auf allen Ebenen würde schätzungsweise zu einer Zunahme der Erwerbstätigkeit um 60’000 Vollzeitstellen führen. Dies entspricht einer Ausweitung des Erwerbspensums um 20 Prozent bei rund jeder siebten erwerbstätigen Frau. Da bei der Individualbesteuerung jede Person einzeln veranlagt wird –unabhängig des Zivilstandes – gibt es weder eine Heiratsstrafe noch ein Heiratsvorteil.
Anders als das Splitting steht bei der Individualbesteuerung also der Abbau der negativen Erwerbsanreize für Frauen im Fokus. Eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen würde sich in vielerlei Hinsicht positiv auf die Gleichstellung auswirken: Zum Beispiel durch grössere Karrierechancen, eine bessere Absicherung im Alter sowie eine stärkere finanzielle Unabhängigkeit. Wer also gezielt für die Chancengleichheit einstehen will, sollte sich für das Prinzip «eine Person – eine Steuererklärung» stark machen.
Dieser Beitrag ist in den Zeitungen von Tamedia («Tages-Anzeiger») erschienen.