Nach Jahrzehnten weltwirtschaftlicher Integration dominiert seit ein paar Jahren Skepsis gegenüber der Globalisierung. Trotz unbestrittener Vorteile der internationalen Arbeitsteilung sind viele Staaten nicht mehr bereit, diese in vollem Umfang zu unterstützen. Zu gross sind die Befürchtungen vor einer «Weaponization», also einer Instrumentalisierung einseitiger Abhängigkeiten – etwa indem Energieexporte als Druckmittel verwendet werden.

Angesichts der Spannungen zwischen dem Westen und China oder Russlands Krieg gegen die Ukraine wird die Wirtschaftspolitik deshalb seit ein paar Jahren vermehrt von nationalen Sicherheitsbedenken geleitet. Diese werden etwa angeführt, um Massnahmen zu rechtfertigen, die Handelsbeziehungen oder grenzüberschreitende Investitionen beeinträchtigen.

Abstriche beim Wohlstand für die Sicherheit

Mit der Sicherheitspolitik wird denn auch die Hinwendung zur Industriepolitik begründet: Die Förderung von Halbleitern oder die Überwachung des Technologietransfers, so wird argumentiert, sei ihren Preis durchaus wert. Ein Land handle sich mit Subventionen für militärisch relevante Branchen oder mit Exportkontrollen auf Technologien zwar einen Wohlstandsverlust ein. Im Gegenzug erhalte es aber eine starke verteidigungsindustrielle Basis und einen Vorsprung bei der Militärtechnologie. Abstriche bei der Effizienz müssten somit in Kauf genommen werden, um die nationale Sicherheit zu wahren.

Nationale Sicherheit ist ein klassisches öffentliches Gut, das Regierungen für ihre Bürger bereitstellen. Aus der Warte einer Weltmacht wie den USA mögen sicherheitspolitische Bedenken in militärisch relevanten Branchen angebracht sein. Diese Sicht kann jedoch nicht auf kleine, offene Volkswirtschaften wie die Schweiz übertragen werden. Der Wohlstandsverlust wiegt in der Schweiz ungleich schwerer, weil sie über einen viel kleineren Heimmarkt verfügt.

Zudem benötigt nicht jedes Land eigene Produktionsstätten für militärische Hochtechnologiegüter, selbst wenn sich etwa die Spannungen zwischen China und dem Westen verschärfen sollten. Die Verlagerung der Produktion in einen westlichen Staat reicht zur Diversifikation der Lieferketten aus. Wenn die Schweiz Rüstungsgüter in liberalen Demokratien kauft, trägt sie zur Rentabilität der dortigen Industrie bei. Damit leistet sie indirekt einen Beitrag zur Sicherheit.

Politiker, die der Schweizer Rüstungsindustrie unter die Arme greifen wollen, können zurzeit viel bewirken, ohne dem industriepolitischen Zeitgeist das Wort zu reden. Die Branche steckt nämlich aufgrund der 2021 beschlossenen Verschärfung des Kriegsmaterialgesetzes in argen Schwierigkeiten. Der Erlass hat sich als realitätsfremd herausgestellt. Weil Schweizer Rüstungsgüter unter keinen Umständen an kriegführende Staaten gelangen dürfen, haben sich bisherige Abnehmer von den Schweizer Produzenten abgewendet.

Oft zu weit gefasst

Die Geopolitik hat Auswirkungen über unmittelbar militärisch relevante Bereiche hinaus. Politiker haben die Tendenz sicherheitspolitische Argumente für alles Mögliche anzuführen, um staatliche Eingriffe zu rechtfertigen. Die jüngste Herbstsession hat diesbezüglich zwei Beispiele geliefert.

  • Erstens hat der Nationalrat mit grosser Mehrheit einer neuen Investitionskontrolle zugestimmt – und die vom Bundesat mit Widerwillen vorgeschlagene Lösung markant verschärft. Neben öffentlichen Sicherheitsbedenken rechtfertigen die Befürworter die Verschärfung mit dem Schutz von Arbeitsplätzen, Know-how und Wettbewerb.
  • Anschaulich ist zweitens die Episode um die RUAG-Tochter Beyond Gravity. Der Nationalrat hat einem Vorstoss zugestimmt, der verhindern möchte, dass der Bund die Firma verkauft. Das Hauptargument lautete: Es sei für die Schweiz von nationalem Interesse, ein Unternehmen der Raumfahrt zu besitzen.

Beide Eingriffe dürften die Sicherheit der Schweiz kaum fördern, und gleichzeitig wohlstandsmindernd sein. Beyond Gravity ist ein Zulieferer von Einzelkomponenten für Raketen- und Satellitenhersteller. Die Firma ist weit davon entfernt, eigene Weltraumvehikel zu produzieren. Am ehesten liesse sich eine Beteiligung des Bundes aus sicherheitspolitischen Gründen rechtfertigen, wenn Beyond Gravity ein bedeutender Zulieferer der Schweizer Armee wäre. Diese ist jedoch ein vernachlässigbarer Kunde. Im Geschäftsjahr 2023 erzielte Beyond Gravity mickrige 0,1 Prozent des Umsatzes – das waren knapp 400 000 Franken – mit der Armee.

Verbietet man dem Bund, seine Beteiligung abzustossen, wäre dies reine Symptombekämpfung. Der Bund würde sich anmassen, eine Firma zu führen, die auf privaten Märkten tätig ist. Denn neben dem fehlenden sicherheitspolitischen Nutzen lässt sich auch kein Marktversagen finden.

Kein zielführendes Instrument

Noch gravierendere Konsequenzen haben könnte das vom Parlament zurzeit diskutierte Investitionsprüfgesetz. Die Verschärfung des Kontrollregime für Übernahmen auf alle ausländischen Investoren, also nicht nur staatliche Akteure, erfolgt ohne Not. Der Vorschlag des Bundesrats muss nicht verschärft werden, sondern erfasst bereits für die Sicherheit heikle Bereiche. So sind Übernahmen durch Ausländer bei zentralen Lieferanten der Armee, Kriegsmaterialexporteuren sowie bedeutenden Dienstleistern für die Informatiksicherheit weitgehend kontrollpflichtig.

Selbst beim vollständigen Verzicht auf ein solches Kontrollregime, gäbe es keinen «schrankenlosen» Zugang zur Schweizer Wirtschaft. Dem Staat steht jederzeit die Möglichkeit einer Enteignung aus Gründen der nationalen Sicherheit offen, und die Lex Koller gehört zu den international restriktivsten Bestimmungen überhaupt.

Der Nutzen des vom Nationalrat verabschiedeten Gesetzes bleibt also unklar. Die Kosten sind hingegen eher zu fassen, da viele OECD-Länder schon länger über eine Investitionskontrolle verfügen. Das Kieler Weltwirtschaftsinstitut hat diese in einer neuen Studie quantifiziert. So führte die Einführung staatlicher Investitionskontrollen in OECD-Ländern zwischen 2007 und 2022 zu einer Reduktion von grenzüberschreitenden Firmenübernahmen um 12 bis 16 Prozent. Reduziert eine staatliche Investitionskontrolle die ausländischen Direktinvestitionen dürfte dies als Folge auch den Wohlstand senken.

Nationale Sicherheitsbedenken werden angeführt, um Massnahmen zu rechtfertigen, die Handelsbeziehungen oder grenzüberschreitende Investitionen beeinträchtigen. (Adobe Stock)

Nationale Sicherheitsbedenken werden angeführt, um Massnahmen zu rechtfertigen, die Handelsbeziehungen oder grenzüberschreitende Investitionen beeinträchtigen. (Adobe Stock)

Verteidigung stärken anstatt Industriepolitik betreiben

Führt die Politik nationale Sicherheitsbedenken ins Feld, um staatliche Eingriffe zu rechtfertigen, ist also Vorsicht geboten – besonders dann, wenn es heisst, das Ausland tue dies auch. Als kleine offene Volkswirtschaft ist es für die Schweiz weder möglich noch erstrebenswert, Wertschöpfungsketten komplett im Inland zu halten. So handelt es sich etwa bei den Zulieferfirmen von Beyond Gravity vielfach um ausländische Produzenten. Selbst wenn die Firma Raketen oder Satelliten herstellen könnte, bliebe sie trotz politischer Kontrolle vom Ausland abhängig.

Dem öffentlichen Gut nationale Sicherheit dürfte auch mit einem strengen Investitionsprüfgesetz nicht gedient sein. Viel wichtiger ist es, dass man die eigene Verteidigungsfähigkeit stärkt. Eine Anpassung des problematischen Kriegsmaterialgesetzes würde der Schweizer Rüstungsindustrie eine heimische Wettbewerbsverzerrung aus dem Weg räumen. Und eine Stärkung der Armee setzt besser auf die beste Ausrüstung aus anderen liberalen Demokratien und damit auf die internationale Arbeitsteilung als auf eine Eigenproduktion um jeden Preis.