Unter Mangelwirtschaft leidet vieles, nicht aber der Humor. Kaum etwas zeigt das besser als die «Radio Eriwan»-Witze. Diese machten einst im Ostblock die Runde und bestehen aus fiktiven Zuhörerfragen an ein Radio – zum Beispiel: «Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass im Westen jeder ein Auto hat? Antwort: Im Prinzip ja, aber bei uns hat dafür jeder einen Parkplatz.»
Was damals weitum bekannt war, ist heute vielen nicht mehr bewusst: Unter den Folgen von falsch gesetzten Preisen haben breite Bevölkerungskreise zu leiden. Noch in den 1980er Jahren waren die Wartezeiten für den Autokauf in der sozialistischen DDR ein allgegenwärtiges Thema: Über 10 Jahre wartete man ab Bestellung auf einen «Trabi».
Die Erfahrungen im Ostblock zeigen, weshalb Preise so wichtig sind. Sie gleichen Angebot und Nachfrage aus. Passiert das nicht, muss meist ein zu geringes Angebot auf zu viele Nachfrager verteilt werden. Neben Vetternwirtschaft und einem florierenden Schwarzmarkt gibt es in solchen Situationen immer auch lange Lieferverzögerungen – wer falsche Preise hat, der muss warten.
Dieses Phänomen aus dem ehemaligen Ostblock ist zunehmend in westlichen Ländern zu beobachten. Ein Paradebeispiel ist der Wohnungsmarkt. Menschen, die sich Stunden in einer Schlange für eine Besichtigung gedulden müssen, sind ein medialer Dauerbrenner. Und in der schwedischen Hauptstadt Stockholm wird auf offiziellen Listen mittlerweile über neun Jahre auf eine Wohnung gewartet – fast so lange also, wie einst im real existierenden Sozialismus auf ein Auto.
Einen dysfunktionalen Wohnungsmarkt hat auch Argentinien, und dort ist seit knapp einem Jahr Javier Milei Präsident. Während seines Wahlkampfs war Mileis Markenzeichen die Kettensäge, mit der er symbolisch den Staat und Regulierungen zurückzustutzen drohte. Kaum im Amt, liess Milei seinen Worten Taten folgen, unter anderem beim Mietrecht.
Die Folgen, so der Tenor jüngster Berichte, ist eine Entspannung am Immobilienmarkt mit einem markant erhöhten Angebot an Wohnungen. Wie nachhaltig diese Entwicklung ist, muss sich weisen. Dessen ungeachtet zeigt die kurzfristige Reaktion einmal mehr: Funktionierende Preise können Wunder wirken.
Dieses Wissen war bis vor wenigen Jahrzenten in der Schweiz weitum bekannt und wurde hochgehalten. In der jüngeren Zeit sind jedoch marktwirtschaftliche Prinzipien erodiert: Die Staatsquote hat sich an den europäischen Durchschnitt angenähert und diverse Marktpreise werden staatlich verzerrt. Wenig überraschend gibt es mittlerweile auch in der Schweiz diverse Beispiele, wo sich ökonomische Mangelerscheinungen zeigen – neben dem erwähnten Wohnungsmarkt etwa bei den Haus- und Kinderärzten.
Wenn es um Warteschlangen in der Schweiz geht, stehen jüngst auch die Autobahnen im öffentlichen Fokus. Das hat gute Gründe. Das Bundesamt für Statistik (BFS) zählte 2023 über 48’000 Staustunden auf dem Schweizer Nationalstrassennetz. Das ist eine Zunahme von 22% im Vergleich zu 2022. Wie im Wohnungsmarkt gibt es mannigfaltige Treiber, welche die Nachfrage nach Mobilität steigern. Aus ökonomischer Sicht zentral ist aber, dass das Angebot nicht mit der Nachfrage in Einklang steht und es deshalb zu Staus kommt.
Als Antwort auf der Hand liegt ein Ausbau des Angebots – darüber werden wir im November abstimmen. Doch damit ist es gerade nicht getan. Wie die oben erwähnten Beispiele zeigen, braucht es korrekte Preise. Diese fehlen bei den Schweizer Strassen. Heute zahlt man jährlich 40 Franken für eine Autobahnvignette und kann damit die Infrastruktur «à discrétion» nutzen. Dass es bei einer solchen Ausgangslage zu einer Übernutzung kommt, überrascht nicht.
Was die Schweiz braucht, sind zeitabhängige Preise für die Nutzung von Strassen. Wie die Erfahrungen im Ausland zeigen, kann ein solches «Road Pricing» Staus effizient verhindern – und gleichzeitig den Strassenausbau verursachergerecht finanzieren. Ebenfalls das Ausland zeigt: Elektronische Systeme können die Kosten für den Betrieb eines «Road Pricings» im überschaubaren Rahmen halten.
Noch besser wäre ein voll-integriertes «Mobility Pricing», also inklusive öffentlichen Verkehr. Damit würde über die verschiedenen Verkehrsarten hinweg Kostenwahrheit geschaffen. Auch das ist keineswegs eine technologische Utopie. Das Problem liegt vielmehr bei der Politik, die sich vor einem solchen Schritt seit Jahren scheut. Wegschauen setzt aber nicht ökonomische Prinzipien ausser Kraft. Und so erleben Schweizer Automobilisten das Gleiche wie einst DDR-Bürger oder argentinische Mieter: Wer falsche Preise hat, der muss warten.