Sechzig Prozent der Eltern können sich gemäss einer Umfrage vorstellen, ihren Nachwuchs an eine private Schule zu schicken. Die Realität sieht anders aus: Während der obligatorischen Schulzeit besuchen nur rund sechs Prozent der Schweizer Schülerinnen und Schüler eine Privatschule. Dieser Unterschied ist ein Abbild der eingeschränkten Schulwahl in der Schweiz. Denn während öffentliche Schulen über Steuergelder finanziert werden und somit für alle Familien zugänglich sind, können Privatschulen über 20 000 Franken pro Kind und Jahr kosten. Das können sich nur wenige Familien leisten.

Es hat schon mehrere Versuche gegeben, dieses starre System aufzubrechen – und ein weiterer steht demnächst an. So befindet die Landsgemeinde des Kantons Glarus am 4. Mai über die Einführung von Bildungsgutschriften. Sie sollen den Finanzierungsnachteil von Privatschulen gegenüber der öffentlichen Schule abbauen und damit den Eltern eine freiere Schulwahl ermöglichen.

Die Schulzuweisung erfolgt über den Wohnort

Heute haben die Familien in der Schweiz vor allem eine Wahlmöglichkeit: Über den Wohnort können sie beeinflussen, welche öffentliche Schule ihr Nachwuchs besucht. Somit kann sich eine Familie den Kanton aussuchen, dessen Schulsystem sie am meisten anspricht und die Gemeinde oder den Schulkreis, wo sie erwartet, dass die Qualität der Bildung gut ist. Diese Wahlmöglichkeit ist jedoch eingeschränkt. Erstens fehlt jegliche Transparenz, was die Qualität einer einzelnen Schule angeht. Zweitens ist die Wohnortwahl von diversen anderen Faktoren abhängig, sei es der Arbeitsort der Eltern oder die Verfügbarkeit von Wohnraum – und ein Umzug ist gerade für Familien kostspielig.

Sobald der Wohnort feststeht, ist die Schule meist vorgegeben. Wie Daten der OECD zeigen, ist in der Schweiz die Bindung an den Wohnort im internationalen Vergleich sehr ausgeprägt (siehe Abbildung). Die meisten Schulen in der Schweiz stehen also mit keiner anderen Schule – egal ob öffentlich oder privat – um die Schülerinnen und Schüler in Konkurrenz. In Ländern wie Belgien oder den Niederlanden stellt die Schulzuweisung über den Wohnort dagegen mehr die Ausnahme als die Regel dar.

In der Schweiz besucht laut den OECD-Zahlen ein Viertel der Schülerinnen und Schüler Schulen, denen sie nicht aufgrund ihres Wohnorts zugeordnet wurden. Dieser Wert lässt sich durch die Schulstufe erklären. Ein Teil der 15-Jährigen besucht bereits ein Gymnasium. Bei den Mittelschulen gewähren einige Kantone Wahlfreiheit. Auf dieser Stufe sind auch Privatschulen weiterverbreitet als auf der Primar- oder Sekundarstufe.

Freie Schulwahl: Ein Begriff, viele Bedeutungen

In vielen Ländern spielt der Wohnort also eine geringere Rolle für die Schulzuweisung als in der Schweiz. Die Ausgestaltung der freien Schulwahl unterscheidet sich dabei von Land zu Land.

Eine freiere Schulwahl ist bereits möglich, wenn Erziehungsberechtige zwischen öffentlichen Schulen wählen können. In Hamburg etwa dürfen drei Wunschschulen angegeben werden; es besteht dabei eine Wahl aus allen öffentlichen (und einigen wenigen privaten) Schulen. Ein Run auf einzelne Schulen hat sich dabei nicht ergeben: Im Jahr 2024 wurden 97% der Schülerinnen und Schüler in einer ihrer drei Wunschschulen eingeschult.

Andere Länder setzen auf Bildungsgutscheine, um Eltern mehr Wahlfreiheit zu geben und den Wettbewerb zwischen Schulen zu fördern – auch der Vorstoss im Kanton Glarus zielt in diese Richtung. Die Idee geht auf den amerikanischen Ökonomen Milton Friedman zurück und wirkt bestechend einfach: Anstatt Schulen direkt zu finanzieren, erhalten die Eltern für ihr Kind einen Bildungsgutschein, den sie an der Schule ihrer Wahl einlösen können. Dies ermöglicht nicht nur eine Wahl unter öffentlichen Schulen, sondern reduziert auch den Finanzierungsnachteil von privaten gegenüber öffentlichen Schulen – das System verschafft so auch weniger wohlhabenden Familien Wahlfreiheit.

Bildungsgutscheine kann man dabei unterschiedlich ausgestalten: Dänemark kennt bereits seit 1849 das Recht auf freie Schulwahl. Im dänischen Modell gewährt der Staat zugelassenen Privatschulen zirka 70% der Kosten pro Kind, die ansonsten für die öffentliche Schule ausgegeben würden. Zusätzlich zum Bildungsgutschein müssen diese zum Teil öffentlich finanzierten Privatschulen noch Zuzahlungen von den Eltern verlangen. Zudem darf diese staatliche Unterstützung nur für die Finanzierung des Schulbetriebs verwendet werden, und die Schule darf nicht gewinnorientiert sein. Fast ein Fünftel der dänischen Schülerinnen und Schüler besuchen eine private Primarschule, sowie knapp ein Drittel auf Sekundarniveau.

Gänzlich ohne Zuzahlung durch die Eltern präsentiert sich das schwedische System der Bildungsgutscheine, das 1992 eingeführt wurde. Die zugelassenen Privatschulen werden damit vollständig vom Staat durch Bildungsgutschriften finanziert. Im Gegensatz zu Dänemark dürfen die Firmen Gewinne erzielen. Zudem ist es ihnen untersagt, Schülerinnen und Schüler abzulehnen, um eine Selektion durch die Schule zu verhindern. In der Praxis führt dieses Modell allerdings zu Wartelisten, wenn eine Schule besonders beliebt ist und ihre Kapazitätsgrenze erreicht hat. Der Anteil von Schülerinnen und Schülern an öffentlich finanzierten Privatschulen beträgt 12% in der Primarschule und 19% in der Sekundarschule.

Den Bildungsföderalismus nutzen

Während in Skandinavien Bildungsgutscheine also schon seit längerem im Einsatz sind, haben diese es in der Schweiz schwer. Die anstehende Abstimmung in Glarus ist nicht ohne historische Vorbilder. Viele Kantone haben schon über Bildungsgutscheine abstimmt. In der Vergangenheit waren solche Vorstösse jedoch chancenlos.

So hat etwa das Zürcher Stimmvolk im Jahr 2012 einer Initiative zur freien Schulwahl und Mitfinanzierung von Privatschulen mit über 80% eine Absage erteilt. Ein ähnliches Schicksal ereilten Initiativen in Baselland (2008) oder im Kanton Thurgau (2010). Wie könnte vor diesem Hintergrund die Wahlfreiheit im Schweizer Bildungssystem trotzdem erhöht werden? Man könnte vorderhand mit einer «vertrauteren» Massnahme starten, bei der die Opposition vermutlich geringer wäre: Nämlich den Eltern zumindest eine Auswahl zwischen öffentlichen Schulen zu ermöglichen.

Ob Experimente mit Bildungsgutscheinen oder weniger weitgehende Liberalisierungsschritte, eines ist klar: Der Schweizer Bildungsföderalismus stellt eine grosse Chance dar. Er erlaubt es den Kantonen, verschiedene Modelle freier Schulwahl im kleinen Rahmen auszuprobieren. So lässt sich für die lokalen Gegebenheiten das jeweils passende Modell finden.