Es vergeht keine Vorweihnachtszeit, an der nicht irgendein Ökonom medienwirksam darlegt, mit welchen Wohlfahrtsverlusten die alljährliche Schenkerei verbunden ist. Man kann sich darüber ärgern – oder diesem Ökonomen etwas entgegensetzen, indem man ihn mit seinen eigenen Waffen schlägt.
Wohlfahrt und Nutzen: Eine kurze Begriffserklärung
Doch der Reihe nach. Mit Wohlfahrt beschreibt die Ökonomie die Summe des Wohlergehens aller Menschen. Dieses Wohlergehen wird dabei als «Nutzen» bezeichnet. Jedem Menschen wird dabei eine Nutzenfunktion zugeschrieben, in welche die verschiedensten Komponenten einfliessen, die sein Glück beeinflussen. Dazu gehören Geld, Güter, Freizeit und vieles mehr.
Nun werden Menschen allweihnachtlich mit Dingen beschenkt, die sie sich selbst niemals kaufen würden. In einer verengten ökonomischen Perspektive sieht das so aus: Eine Person gibt Geld aus, was ihren Nutzen reduziert. Sie kauft damit ein Geschenk, das den Nutzen des Beschenkten nur geringfügig erhöht, weil es dessen Bedürfnisse oft mehr schlecht denn recht erfüllt. Die Summe der beiden Nutzen ist somit geringer als zuvor – es entsteht insgesamt ein Wohlfahrtsverlust.
Dieser würde sich, so unser nüchtern kalkulierender Ökonom, verhindern lassen, indem man einfach Geld schenkt, damit der Empfänger selbst entscheiden kann, wofür er es am liebsten einsetzt. Das gilt natürlich in beide Richtungen. Um Wohlfahrtsverluste zu vermeiden, müssten wir uns also alle gegenseitig Geld überweisen. Da es offensichtlich unsinnig wäre, wenn Person A an Person B 70 Franken und B an A 50 Franken schenkt, können wir uns das auch sparen – und uns also das Schenken schenken.
Das mag plausibel klingen, greift aber zu kurz. Vorab: Wollte man aus besagter Perspektive argumentieren, wären nicht nur schlechte, sondern per Definition alle Geschenke wohlfahrtsmindernd – oder überflüssig.1Damit keine Missverständnisse entstehen: Wir sprechen hier immer von Geschenken zwischen erwachsenen Personen. Geschenke an Kinder durch Eltern oder Paten müssen ohnehin anders beurteilt werden. Warum? Nehmen Sie an, Sie seien die beschenkte Person. Selbst kaufen sollten Sie sich ein Gut genau dann, wenn Ihre Zahlungsbereitschaft dessen Preis übersteigt. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, ist die Transaktion wohlfahrtsmindernd. Ein Geschenk an Sie, das diese Bedingung nicht erfüllt, wäre entsprechend ebenso wohlfahrtsmindernd. Erfüllt ein Geschenk hingegen diese Bedingung, haben Sie sich das Gut – als rationaler, perfekt informierter Mensch – schon selbst gekauft. Dann erübrigt sich das Geschenk also: Es ist schlicht überflüssig.
Nur: Zum einen leben wir nicht in einer Welt perfekt informierter Menschen. Es kann also durchaus ein «nicht überflüssiges» Geschenk geben, dessen Preis unter der Zahlungsbereitschaft des Beschenkten liegt und somit die Gesamtwohlfahrt erhöht.
Schenken ist mehr als ein rationaler Gütertransfer
Zum anderen – und hier kommen wir zum Kern der Sache – geht bei diesen mechanistischen Überlegungen etwas Wichtiges komplett vergessen: Ein Geschenk ist viel mehr als ein reiner Güterkauf mit anschliessendem Transfer an eine befreundete Person.
Erstens ist bei der Geschenkübergabe die Freude bei der Schenkenden oft genauso gross wie beim Beschenkten.2Die Geschenkauswahl steht auf einem anderen Blatt. Sie kann das ganze Spektrum von «sehr mühselig» bis «sehr vorfreudig» abdecken.
Zweitens freut sich der Beschenkte nicht nur über den Gegenwert des Geschenkes, sondern über den Akt des Beschenkt-Werdens per se. Ein gut ausgedachtes, vielleicht sogar kreatives Geschenk signalisiert eine hohe Wertschätzung oder Zuneigung. Es zeigt, dass jemand bereit war, Zeit und Mühe zu investieren, um dem Beschenkten eine Freude zu bereiten.
Das Schenken generiert also neben dem eigentlichen Güternutzen in zweifacher Weise einen prozeduralen Nutzen: einmal bei der Schenkenden, einmal beim Beschenkten. Als optimales Geschenk könnte man sogar eines bezeichnen, dessen Preis über der Zahlungsbereitschaft des Beschenkten liegt (das also strikt mikroökonomisch wohlfahrtsmindernd wäre). Denn mit ihm kann man dem Beschenkten ein Vergnügen bereiten, dass er sich selbst nicht gegönnt hätte. Güter, die sich ein Beschenkter bei perfekter Information auch selbst gekauft hätte, sind so gesehen gar nicht so spannend, weil sie eher einem Bargeldtransfer ähneln.
Klar, nicht jedes Geschenk ist treffsicher. Aber sogar ein mittelmässiges, möglicherweise generisches Geschenk ist immer noch ein Geschenk. Es trägt immer noch die Botschaft «ich habe an dich gedacht». In der oft hektischen Vorweihnachtszeit kann schon dieser Gedanke wertvoller sein als der Inhalt des Pakets. Ein Geschenk muss schon sehr unpassend sein, damit die Summe aus dem reinen Güternutzen des Geschenks, dem Nutzen aus dem Beschenkt-Werden und dem Nutzen des Schenkens geringer ist als die Kosten des Geschenks. Solche Präsente sind ziemlich selten.
Darum: Hören Sie nicht auf die gedanklichen Schnellschüsse weihnachtsfeindlicher Ökonomen. Schenken Sie, lassen Sie sich beschenken und geniessen Sie die kleinen und grossen Freuden, die damit verbunden sind.
Frohe Festtage!