Selten ist sich die Welt einig – ausser vielleicht beim Thema Bürokratie: Sie bremst Innovation, kostet Zeit, Geld und Nerven. Argentinien setzt den Rotstift an. Die USA ziehen nach. Selbst Brüssel will entrümpeln. Und die Schweiz? Auch hier stellt sich die Frage: Wie viel Verwaltung ist nötig – und wie viel ist zu viel?
Um das zu klären, haben wir die Sache genauer angeschaut: Wie gross ist das Bürokratieproblem wirklich? Wo hakt es konkret – und wer bezahlt dafür? Hilft die Digitalisierung – oder schafft sie neue Hürden? Und vor allem: Braucht es zum Aufräumen die Motorsäge – oder reicht gesunder Menschenverstand?
Hier sind die wichtigsten Antworten:
1. Gibt es heute mehr Regulierung als früher?
Die Schweiz reguliert heute mehr denn je – und schneller. In den 1960er Jahren wurden pro Jahr rund 150 Gesetze und Verordnungen auf Bundesebene geändert. Heute sind es über 500. Das allein ist nicht zwangsläufig schlecht: Ein moderner Staat muss auf neue Herausforderungen reagieren. Doch auch die Eingriffe in die Wirtschaft sind erheblich: Über die Hälfte aller Preise wird vom Staat beeinflusst oder direkt kontrolliert. International zahlt die Schweiz dafür einen Preis: So belegt sie im Index zur Produktmarktregulierung der OECD beispielsweise nur Rang 23.
2. Wächst die Verwaltung wirklich?
Zwischen 2011 und 2019 wuchs die Zahl der Angestellten im öffentlichen Sektor um 13 Prozent – schneller als im Privatsektor (8 Prozent). In Städten ist der Zuwachs besonders stark: In Basel-Stadt wuchs die Verwaltung viermal schneller als die Bevölkerung. Der Unterschied zur Wirtschaft? Dort zwingt der Wettbewerb zur Effizienz – in der Verwaltung fehlt dieser Druck weitgehend.
3. Wie effizient ist die Schweizer Verwaltung?
Die Schweizer Verwaltung liefert hohe Qualität und schneidet im internationalen Vergleich gut ab, etwa im Weltbank-Ranking zur Staatsführung. Doch sie ist teurer als oft vermutet, insbesondere unter Berücksichtigung des im Vergleich hohen BIP der Schweiz. Die allgemeinen Verwaltungsausgaben bewegen sich im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung im Mittelfeld vergleichbarer Länder, wenn man berücksichtigt, dass die Krankenversicherungen oder die Pensionskasse bei uns nicht durch den Staat verwaltet werden. Und ein Effizienzvergleich im Versicherungsbereich zeigt: Während private Krankenkassen und Pensionskassen in den letzten Jahren deutlich effizienter wurden, stiegen die Verwaltungskosten staatlicher Versicherungen wie AHV, IV, ALV oder Suva relativ zu den ausbezahlten Leistungen deutlich an. Die Schweizer Verwaltung erbringt also vielfach gute Dienstleistungen – könnte es aber durchaus noch effizienter tun.
4. Wo hakt es besonders?
Bürokratie ist kostspielig und verursacht Umtriebe – und zwar sowohl für Bürger als auch für Unternehmen. Besonders sichtbar wird das beim Bauen: In Zürich blockiert der Ortsbildschutz selbst Projekte in durchschnittlichen Quartieren – rund 75 Prozent der Stadtfläche sind betroffen. Der Wohnraummangel akzentuiert sich, während Gesuche jahrelang liegen bleiben. Auch gibt es diverse fragwürdige Regeln: Die Stadt Zürich greift gegen nicht regelkonforme Dekoration und Aussenbeleuchtung von Zürcher Bars hart durch. Im Kanton Waadt dürfen Kitas ihre Böden nur mit Parkett, Linoleum oder Novilon auslegen. Detailvorgaben wie diese bremsen Unternehmertum, verteuern den Betrieb – und schränken die Wirtschaftsfreiheit unnötig ein.
5. Ist die Bürokratie für Unternehmen ein echtes Problem?
Ja. So stufen 60% der Unternehmen die administrative Belastung gemäss Umfragen des Bundes als «hoch» oder «eher hoch» ein – Tendenz steigend. Alleine KMU zahlen laut Untersuchungen des Bundes jährlich über sechs Milliarden Franken für externe, regulierungsbedingte administrative Aufwände – mehr als der gesamte Verteidigungshaushalt.
6. Werden Steuergelder verschwendet?
Die unzähligen Regeln und Verwaltungseinheiten führen immer wieder zu Widersprüchen, die am Ende den Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Der Bund etwa wirbt für Fleisch – und warnt gleichzeitig vor Fleischkonsum. Avenir Suisse hat diverse weitere Widersprüche und ineffiziente Staatsausgaben dokumentiert. Eine Expertengruppe des Bundes identifizierte beim Bund aufgrund von fragwürdigen Ausgaben ein Sparpotenzial von fünf Milliarden Franken pro Jahr. Und auf kommunaler Ebene hielt ein interner Bericht der Stadt Zürich fest: Es herrschen «Unklarheiten, Duplikationen und Ineffizienzen».
7. Kann Digitalisierung den Staat effizienter machen?
Die Schweiz hat hier zwar eindeutig Aufholbedarf, in einem internationalen Ranking der UN belegt sie lediglich Platz 26. Baugesuche oder Behördengänge liessen sich deutlich vereinfachen. Aber: Wer nur digitalisiert, ohne zu entrümpeln, verlagert oft nur alte Probleme ins Netz. Es braucht Mut zu echten Reformen – nicht nur neue IT.
8. Braucht die Schweiz also eine Schocktherapie à la Milei oder Musk?
Nein, radikaler Kahlschlag passt nicht zur politischen Kultur der Schweiz. Aber auch bei uns muss der Staat effektiver, und, wo immer das möglich und sinnvoll ist, auch kleiner werden. Gleichzeitig sind eine funktionierende Verwaltung und verlässliche Regeln wichtig: Sie fördern Innovation und sozialen Aufstieg. Das zeigen auch aktuelle Studien. Inklusive Institutionen, also solche, die das Gemeinwohl über Partikularinteressen stellen, machen die Schweiz stark. Aber auch sie müssen gepflegt werden. Weniger Bürokratie heisst: mehr Bürgernähe, mehr Freiheit, mehr Zukunft.
9. Wo müsste eine Verwaltungsreform ansetzen?
Weniger Detailsteuerung, mehr Vertrauen. Zwei Hebel sind entscheidend:
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- Erstens, Gesetze entschlacken. Hier könnten institutionelle Anpassungen durchaus etwas zum Positiven bewirken. So etwa die von Avenir Suisse vorgeschlagene jährliche «Löschwoche» oder auch Mitspracherechte für die Bevölkerung bei Grossausgaben beim Bund (Finanzreferendum).
- Zweitens, die Verwaltung effizienter machen – mit klaren Zuständigkeiten, weniger Parallelstrukturen und regelmässigen externen Prüfungen. Die Digitalisierung kann das unterstützen, ersetzt aber nicht die Reform.
Am Ende ist also klar: Auch wenn es keine Kettensäge braucht, sind mutige und durchsetzungsstarke Politikerinnen und Politiker gefordert.