Die Schweiz ist das Vorzeigeland, wenn es um gelebten Föderalismus geht. Damit trotz der starken Dezentralisierung und Steuerautonomie von Kantonen und Gemeinden keine zu starken Ungleichgewichte entstehen, gibt es den Finanzausgleich. Zum einen zwischen den Kantonen, zum anderen – weniger bekannt – auch zwischen den Gemeinden. Die Anforderungen sind auf beiden Staatsebenen dieselben: Steuerbar muss der Finanzausgleich sein, finanzierbar und dabei möglichst wenig Fehlanreize beinhalten.

Einen Finanzausgleich optimal gestalten

Daraus lassen sich folgende Grundprinzipien herleiten (hier bezogen auf den Finanzausgleich zwischen Gemeinden):

  1. Das Volumen der zu verteilenden Mittel sollte sich an Disparitäten (Ressourcen- und lastenunterschiede) zwischen den Gebietskörperschaften orientieren. Grund: Es ist aufwändig und führt aufgrund der üblichen politischen Grabenkämpfe oft zu schlechten Ergebnissen, wenn der Kanton den Finanzausgleich jedes Mal manuell nachjustieren muss, sobald sich signifikante Änderungen in der Gemeindelandschaft ergeben.
  2. Pro Ziel sollte es ein (einziges) Instrument geben und pro Instrument ein (einziges) Ziel. Grund: Mit einem einzigen Instrument mehrere Ziele zu verfolgen, funktioniert auf die Dauer meist nicht, da einst gut korrelierte Ziele im Laufe der Zeit divergieren können. Ein Ziel mit mehreren Instrumenten zu verfolgen, macht ein System wiederum unnötig komplex und intransparent. Die Steuerbarkeit des Finanzausgleichs ist bei Verletzung dieses Prinzips erschwert.
  3. Der Finanzausgleich stützt nicht auf Grössen ab, die die Gemeinden selbst unmittelbar beeinflussen können. Wäre das der Fall, wären die Gemeinden veranlasst, diese Grössen so anzupassen, dass sie möglichst viele Transfers erhalten (bzw. möglichst wenige abliefern müssen).

Aus diesen Prinzipien leiten sich wiederum folgende Ideale für die konkrete Ausgestaltung eines Finanzausgleichs ab:

a) Kein indirekter Finanzausgleich: Der Finanzausgleich wird direkt über Transfers ohne Zweckbindung vollzogen, statt (wie früher weitverbreitet) über die Abstufung kantonaler Beiträge an kommunale Leistungen nach der Finanzkraft der Gemeinden.

b) Zwischen Ressourcen- und Lastenausgleich wird klar getrennt: Der Ressourcenausgleich reduziert Unterschiede auf der Einnahmeseite, der Lastenausgleich ist für Unterschiede auf der Ausgabenseite zuständig.

c) Die Transfers sind in keiner Weise an den kommunalen Steuerfuss gebunden. Es gibt also keine steuerlichen Nebenbedingungen für den Erhalt von Transfers aus dem Lasten- oder Ressourcenausgleich.

d) Der Finanzausgleich ist fusionsneutral. Der Zusammenschluss zweier Gemeinden führt also für sie weder zu Vor- noch zu Nachteilen bezüglich Transfers aus dem Finanzausgleich.

e) Der Finanzausgleich stützt nicht direkt auf effektiven Grössen ab:

    • Der Ressourcenausgleich orientiert sich entsprechend nicht an den tatsächlichen Steuereinnahmen einer Gemeinde, sondern am Ressourcenpotenzial – auf kommunaler Ebene auch als Steuerkraft bezeichnet. Diese beschreibt die Steuereinnahmen pro Einwohner bei einem vereinheitlichten Steuerfuss. Hat eine Gemeinde z.B. einen Steuerfuss von 78, während der kantonale Schnitt bei 95 liegt, so werden ihre effektiven Einnahmen proportional auf den mittleren kantonalen Steuerfuss umgerechnet (also mit 95/78 multipliziert).
    • Ebenso werden im Lastenausgleich keine effektiven Ausgaben gemessen, sondern Lastenfaktoren soziodemografischer Natur (z.B. Quote von Schülern, alten Menschen oder Sozialhilfebezügern) und geografisch-topografischer Natur (z.B. Fläche pro Einwohner, Höhenlage, Strassenlänge).
Der Finanzausgleich ist ein Garant dafür, dass alle Regionen unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Stärke gleiche Chancen haben. (Adobe Stock)

Der Finanzausgleich ist ein Garant dafür, dass alle Regionen unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Stärke gleiche Chancen haben. (Adobe Stock)

Schon 2013 hatte eine Mehrheit der Kantone ihre Hausaufgaben gemacht

Vor elf Jahren hat Avenir Suisse im Kantonsmonitoring 5 den interkommunalen Finanzausgleich aller Kantone auf Basis solcher Kriterien in einem Ranking verglichen und mit Punkten bewertet. Die Kantone schnitten dabei durchaus passabel ab. Eine Mehrheit der Kantone hatte ihr System schon damals auf eine zeitgemässe Basis gesetzt. Manche taten dies in – loser – Anlehnung an die 2008 in Kraft getretene Reform des Bundes, manche kamen dem Bund – wie üblich im auch als Ideenlabor bezeichneten Schweizer Föderalismus – sogar zuvor.

Intransparente und mit Fehlanreizen behaftete Regelungen wie Mischsysteme (von Ressourcen- mit Lastenausgleich) oder der indirekte Finanzausgleich waren meist schon abgeschafft worden. Die Kantone erzielten im Schnitt 20 von 33 gesamthaft erreichbaren Punkten, während der Bund bei 27 Punkten lag. Übertroffen wurde der Bund von den Kantonen Freiburg (29 Punkte) und Glarus (32 Punkte), wobei in letzterem aufgrund seiner kurz zuvor erfolgten Radikalfusion auf bloss noch drei Gemeinden gar keine wesentlichen Transfers mehr nötig waren. Gleichauf mit dem Bund lag das Wallis (mit einem stark am Bund orientierten System). Auf den hintersten Plätzen lagen Graubünden, St. Gallen, Solothurn und das Tessin.

In fünf Kantonen war noch ein indirekter Finanzausgleich in Kraft, zwölf Kantone trennten nicht konsequent zwischen dem Ausgleich von Ressourcen und von Lasten, vier wendeten Steuerfussbindungen an, in zehn Kantonen verletzte der Finanzausgleich explizit die Fusionsneutralität: Neun davon bevorteilten einwohnerschwache Gemeinden explizit, einzig der Kanton Waadt verfuhr – und verfährt immer noch – genau gegenteilig: Grosse Gemeinden erhalten pro Kopf höhere Transfers (vgl. Box) als kleine. Des Weiteren fand in sechs Kantonen eine Abgeltung effektiver Ausgaben durch den Finanzausgleich statt.

Box: Interkommunaler Finanzausgleich 2024 vs. 2013

Die Abbildung zeigt, welche Kantone die oben genannten Ideale a) bis e) 2013 und 2024 verletzten. Durchgestrichen sind jene Kantone, die mit Reformen während jener elf Jahre Mängel in ihrem System ganz (grün) oder weitgehend (orange) korrigieren konnten. In roter Schrift gehalten sind neue Mängel.

a. Indirekter FA: TI, SO, GR, VD, AG

b. Fehlende Trennung Ressourcen und Lastenausgleich (2013):

  • Umfassendes Mischsystem: AG, SO, GE
  • Normlasten- und Normertrag: NW, OW, SZ, TG
  • Grundsätzlich Trennung, aber erhebliche Beiträge ohne klare Zuordnung: GR, TI
  • Berücksichtigung Ressourcenstärke im Lastenausgleich: AR, LU, SG

c. Steuerfussbindung: TI, GR, GE, SH

d. (Explizite) Verletzung der Fusionsneutralität: AG, AR, GR, NE, NW, SZ, UR, VD (), VS, ZG, OW

e. Abgeltung effektiver Kosten: SO, TI, VD, GR, SG, NW

Quelle: Eigene Erhebung

Grundlegende Reformen bis 2024

Seit 2013 haben fünf Kantone ihren Finanzausgleich totalrevidiert: Solothurn, Graubünden, Aargau, Obwalden, Nidwalden. Zwei substanzielle Teilrevisionen wurden im Kanton St. Gallen verwirklicht. Einige Reformen werden in zwei kommenden Blogbeiträgen genauer analysiert. Hier darum nur ein kurzer Überblick über die wichtigsten Änderungen (vgl. Box):

  • Solothurn hat ein veraltetes Mischsystem, das im Kern aus dem Jahr 1984 stammte, 2016 durch ein modernes, übersichtliches System ohne wesentliche Fehlanreize ersetzt. Lag der Kanton im Ranking des Kantonsmonitoring 5 an zweitletzter Stelle, würde er sich in einer aktualisierten Rangliste in der Spitzengruppe wiederfinden.
  • Aargau, aus ähnlicher Situation kommend, hat es Solothurn 2018 gleichgetan und beim Lastenausgleich zudem innovative Wege beschritten. Das System erreichte schon in der Auswertung von 2013 eine immerhin mittlere Punktzahl, was daran lag, dass die Umverteilung einigermassen effizient und ohne massive Fehlanreize geschah. Die Struktur des Systems war aber veraltet.
  • Der Finanzausgleich von Graubünden mit seiner komplexen Gemeindelandschaft verletzte 2013 alle in a) bis e) genannten Ideale. Er wurde 2016 durch ein modernes System ersetzt, das fast alle Schwächen des Vorläufers ausmerzt.
  • Die Kantone Nidwalden und Obwalden führten bis vor einigen Jahren zwischen ihren Schulgemeinden einen Ausgleich durch, der Aufwände und Erträge vermischte. Seit 2020 bzw. 2018 ist der Ressourcenausgleich vom Lastenausgleich getrennt. Obwalden hat allerdings zusätzlich zum Lastenausgleich einen Strukturausgleich eingeführt, der explizit an Gemeinden mit geringer Einwohnerzahl ausgeschüttet wird.
  • Das System von St. Gallen bleibt trotz beider Teilrevisionen eher komplex und lässt in gewissen Punkten Kohärenz vermissen.

Insgesamt haben die kantonalen Reformen zu einer deutlichen Verbesserung der Systeme geführt. Drei der fünf Kantone mit indirektem Finanzausgleich und vier der sieben Kantone mit umfassendem Mischsystem oder Gegenrechnung von Normlasten und Normertrag konnten diese veralteten Instrumente hinter sich lassen. Von den 2013 vor allem in ihrer Grundstruktur nicht gut bewerteten Systemen fallen Tessin und Genf auf, in denen seither Anläufe für umfassende Reformen gescheitert sind. An Vorbildern würde es den beiden Kantonen eigentlich nicht mangeln – dem Föderalismus sei Dank.