Erdrücken die hohen Strompreise die Schweizer Industrie? In den letzten Wochen haben zum Beispiel Stahlhersteller einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit beklagt. Die Stromkosten seien in der Schweiz rund fünf Mal so hoch wie in Frankreich, sagte der Besitzer von Stahl Gerlafingen.

Öffentliche Daten dazu sind mit Vorsicht zu interpretieren, weil Industriekonzerne ihren Strom frei am Markt einkaufen können. Wer zum Beispiel 2021 gleich für mehrere Jahre Strom eingekauft hat, wurde dafür belohnt, weil die Strompreise nach dem Überfall der Ukraine durch Russland stark anzogen. Firmen, die sich dagegen kurzfristig mit Strom eindeckten, mussten viel Geld auslegen.

Hinter dem Anstieg der Stromkosten stecken vor allem zwei Ursachen: Zum einen ist der reine Strompreis im Zug des Ukraine-Krieges stark gestiegen. Zum anderen haben über die vergangenen zehn Jahre die Netzkosten markant zugenommen. So bezahlen zum Beispiel Industriebetriebe, die 7,5 Mio. kWh Strom beziehen (für diese sind Daten der Elcom-Homepage zu entnehmen) derzeit im Median 6.75 Rappen pro kWh, 2015 waren es erst 4.38 Rappen gewesen. Dies entspricht einem Anstieg um über 50%. Ein Hauptgrund ist die Abgeltung für die Winterstromreserve, die es 2015 noch gar nicht gegeben hat. Alleine dieser Faktor hat die Netzkosten um 1.2 Rappen verteuert – ist also für die Hälfte des Anstiegs verantwortlich.

Frankreich verbilligt seinen Atomstrom

Wegen den Eigenheiten des Strommarkts gilt: Die hier präsentierten Daten sollten als grobe Näherung betrachtet werden. Für die Schweiz haben wir Betriebe genommen, die mindestens 20 Mio. kWh Strom pro Jahr verbrauchen. Dies entspricht dem Stromkonsum von 5000 Familien. Diese Daten werden mittels einer Umfrage unter Stromversorgern vom Bundesamt für Statistik erhoben. Verglichen haben wir diese mit Daten zu Grossverbrauchern, welche die europäische Statistikbehörde Eurostat sammelt.

Der internationale Vergleich der Jahre 2015 und 2024 erlaubt nun vier Schlüsse:

  1. Strom in der Schweiz ist für grosse Verbraucher teuer. Das war vor zehn Jahren so, hat sich seither aber noch akzentuiert: 2015 war der Strompreis für Industriebetriebe in Deutschland und Italien höher als in der Schweiz, 2024 belegt die Schweiz hinter den Niederlanden den unrühmlichen zweiten Platz. Prozentual noch stärker gestiegen als in der Schweiz sind die Stromrechnungen für Grossabnehmer in den Niederlanden, Polen und Österreich.
  2. Bei den 16 Rappen pro kWh für die Schweiz ist der Netzzuschlag von 2.3 Rappen, mit dem erneuerbare Energien gefördert werden, schon abgezogen. Stromintensive Betriebe können sich diesen Betrag nämlich zurückerstatten lassen, wenn sie sich zu Massnahmen der Energieeffizienz verpflichten. Wer dies nicht macht, bezahlt entsprechend 2.3 Rappen mehr. Auch bei den Eurostat-Daten sind erstattungsfähige Steuern und Abgaben abgezogen.
  3. Frankreich hatte 2015 und 2024 unter den ausgewählten Ländern die niedrigsten Strompreise für Grossabnehmer. In der Schweiz sind die Kosten zurzeit 2,3 Mal so hoch wie in Frankreich. 2015 hatte dieser Faktor erst 1,5 betragen. Das hat damit zu tun, dass die französische Regierung den Stromproduzenten EDF dazu zwingt, einen Teil des Stroms aus Kernkraftwerken zu 4.2 Euro-Cents je kWh an Grosshändler zu verkaufen. Etwa die Hälfte des Industriestroms untersteht diesem Preisregime.
  4. Auch die Verteuerung des Industriestroms in Deutschland fällt moderat aus. Das liegt zum einen daran, dass Deutschland 2023 die sogenannte EEG-Umlage abgeschafft hat, mit der Subventionen für Wind- und Solarstrom finanziert wurden. 2021 hatte dieser Betrag noch 6.5 Cent je kWh ausgemacht. Zum anderen wurde die Stromsteuer für Industriefirmen von 1.54 Cent pro kWh auf 0.05 Cent gesenkt – und für Grossverbraucher gibt es zusätzliche Entlastungen.

Leichte Entspannung in Sicht

Immerhin scheint das Schlimmste für die Schweizer Industrie ausgestanden. Die Preise dürften 2025 sinken. Dies liegt an zwei Faktoren:

  1. Die Winterstromreserve kostet den Bund deutlich weniger als im Krisenwinter 2022/23, weshalb hier ab 2025 eine Entlastung von knapp 1 Rappen pro kWh erfolgt. Das ist für Grossverbraucher viel Geld. So hatte beispielsweise das eingangs erwähnte Stahlwerk Gerlafingen bisher einen jährlichen Stromverbrauch von 360 Mio. kWh. Allein diese Entlastung beträgt somit rund 3.5 Mio. Franken.
  2. An den Terminmärkten notiert der reine Strompreis für 2025 bis 2027 zwischen 7 und 9 Rappen je kWh. Anfang 2023 hatte die Preiserwartung für 2025 und 2026 noch bei über 15 Rappen gelegen. Allerdings zeigen diese Notierungen auch, dass Grosshandelspreise von 4 oder 5 Rappen je kWh, wie sie vor den Turbulenzen im Jahr 2022 typisch waren, ausser Reichweite sind.

Hinzu kommt, dass bei den europäischen Nachbarn die staatliche Förderung künftig etwas zurückgehen dürfte. Ende Juni lief die befristete Lockerung des EU-Beihilferechts aus, welche die hohen Subventionen erst ermöglichte. Der Druck auf die Mitgliedstaaten, finanzpolitische Anpassungen vorzunehmen, nimmt damit zu. Und in Frankreich wird der von der Regierung mit EDF vereinbarte Grosshandelspreis für Strom aus AKW 2026 von 4.2 auf 7 Euro-Cents je kWh erhöht.

Industriepolitik durch die Hintertür

Gewiss, die Schweiz ist für energieintensive Industrien derzeit kein einfaches Pflaster, wie der zweifelhafte zweite Platz bei den Strompreisen zeigt. Die Konkurrenz aus Deutschland, Italien und Österreich gelangt jedoch wieder in Reichweite, sofern dort gewisse Förderungen auslaufen und sofern die Schweizer Netzkosten nach der Entspannung 2025 nicht erneut stark steigen. Gerade hier ist die Politik – Stichworte: Netzexpress, Eigenverbrauch und Netzkosten, Regulierung der Monopolpreise, Abregeln von Solarstrom-Peaks – gefordert (vgl. Box).

Dass der Bundesrat eine Subventionierung der grossen Strombezüger ablehnt, ist dennoch richtig, und zwar aus drei Gründen:

  • Erstens birgt die Subventionierung die Gefahr eines ungesunden Wettlaufs: Die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Unternehmen wird staatlich verbessert – es ist eine Industriepolitik durch die Hintertür.
  • Zweitens verschwinden diese Kosten nicht einfach, sondern werden dem Steuerzahler aufgebürdet, entweder über Subventionen oder im Fall von Frankreich durch defizitäre Stromfirmen. So erlitt der französische Stromproduzent EDF im Jahr 2022 einen Verlust von 18 Milliarden Euro, auch weil er seine Elektrizität zu staatlich regulierten Preisen verkaufen musste.
  • Drittens unterbleibt eine wichtige Reaktion, wenn man Marktsignale unterdrückt: Hohe Stromkosten motivieren die heimischen Firmen, noch energieeffizienter zu werden. Schon heute setzt die Schweizer Industrie nur halb so viel Energie je Einheit Wertschöpfung ein wie Deutschland und sogar nur ein Drittel derjenigen Frankreichs.

Box: Hausgemachte hohe Netzkosten

Die Netzkosten haben sich in der Schweiz innert eines Jahrzehnts für grosse Verbraucher um 50 Prozent erhöht. Damit diese Kosten nicht weiter stark zunehmen, muss die Politik reagieren. Störend ist etwa die intransparente Subventionierung von Hauseigentümern oder Gewerbebetrieben, die mit ihrer Solaranlage Strom produzieren, den sie selbst verbrauchen. Denn für diesen Strom sind die «Prosumer» von den Netzkosten befreit. Da immer mehr Solarmodule auf Dächern und an Fassaden installiert werden, nimmt diese Subventionierung zu. Die Zeche zahlen Konsumenten und Betriebe ohne Solaranlage über höhere Netzkosten.

Eine so gestaltete Entlastung des Eigenverbrauchs widerspricht dem Verursacherprinzip. Besitzer von Solaranlagen beziehen an trüben Wintertagen genauso viel Strom über das Netz wie Nachfrager ohne Solaranlage. Man muss für erstere das Netz somit genauso ausbauen wie für Personen, die keinen Strom produzieren und selbst verbrauchen. Doch in den Tarifen zeigt sich dies nicht. Diese müssten deshalb auch den Fixkosten-Charakter des Stromnetzes spiegeln.

Teuer wird es auch, wenn man das Netz so ausbauen will, dass es im Sommer stets den ganzen Solarstrom aufnehmen kann. Hier hat die Annahme des Mantelerlasses durch das Stimmvolk immerhin eine leichte Verbesserung gebracht. Damit die Ausbaukosten des Netzes nicht ins Unermessliche steigen, dürfen Stromversorger nun die maximale Einspeisekapazität von Solaranlagen auf 70 % beschränken. Damit verliert man nur 3 % des produzierten Solarstroms, weil Solaranlagen selten die Maximallast erreichen. Man spart hingegen Milliarden an Kosten für den Netzausbau.

Ein Kostentreiber sind schliesslich die enorm langen Planungs- und Realisierungsphasen auf den übergeordneten Netzebenen. Von der Planung bis zur Inbetriebnahme der Hochspannungsleitung Chamoson – Chippis im Wallis dauerte es nicht weniger als 36 Jahre. Es braucht solche Projekte, damit Strom aus den Alpen beim Nachfrager im Mittelland ankommt. Je länger sie dauern, desto kostspieliger werden sie.