Vor einer Woche haben wir die «Best Practices» beim interkommunalen Finanzausgleich skizziert. Darauf aufbauend haben wir analysiert, wie die Kantone heute im Vergleich zu unserer Untersuchung des Kantonsmonitorings vor zehn Jahren dastehen. Neben Graubünden haben auch Aargau und Solothurn ihren bis dahin stark veralteten Finanz­ausgleich komplett neu aufgestellt. Sie haben dabei sogar Lösungen gewählt, die auch für jene Kantone interessant sind, die schon seit längerem einen fortschrittlichen Finanzausgleich haben.

Ein altbekannter Zielkonflikt

Kein Finanzausgleich lässt sich durchführen, ohne dabei aus finanzpolitischer Sicht die Anreize der Gemeinden zur Teilnahme am Standort­wettbewerb zu reduzieren. Die Frage ist bloss, für wie viele Gemeinden die Anreize wie stark geschwächt werden. Die Herausforderung liegt dabei nicht auf der Seite der ressourcenstarken Gemeinden. Diese müssen je nach Kanton 0% bis 40% ihres Ressourcenüberschusses (Differenz zur mittleren Steuerkraft aller Gemeinden) abgeben – ohne den Ausreisser Kanton Zürich, wo dieser Wert bei 70% liegt. Fast überall bleibt den ressourcenstarken Gemeinden also immerhin der Grossteil einer allfälligen Stärkung ihrer Steuerkraft.

Die Herausforderung ergibt sich bei den Empfängergemeinden – allen voran in der Deutschschweiz. Deren Kantone sehen für ihre Gemeinden meist eine explizite Mindest­ausstattung vor. Diese ist ausgedrückt in Prozent der mittleren Steuerkraft (pro Kopf) aller Gemeinden. Erreicht eine Gemeinde mit ihren eigenen Steuereinnahmen diesen Wert nicht, wird die Differenz mit dem Ressourcenausgleich aufgefüllt.

Die Mindestausstattungen reichen je nach Kanton von 65% bis 100%. Das bedeutet: Einer Gemeinde unterhalb dieser Schwelle nützt eine Steigerung der Steuerkraft – der womöglich signifikante Anstrengungen zur Erhöhung ihrer Standortattraktivität vorausgingen – nichts, sofern sie damit nicht über die Schwelle der Mindestausstattung kommt. Die Beiträge aus dem Ressourcenausgleich werden 1 zu 1 mit der Zunahme der Steuerkraft gekürzt. Die sogenannte Grenzabschöpfungsquote (GAQ) beträgt damit 100%.

Je nach Höhe der Mindestausstattung und der Steuerkraftdisparitäten zwischen den Gemeinden eines Kantons können bis zu 70% oder gar 80% aller Gemeinden davon betroffen sein. Da diese eher zu den kleineren gehören, fällt die Quote bezogen auf die Bevölkerung geringer aus, doch der auf diese Gemeinden entfallende Einwohneranteil beträgt teilweise (zum Beispiel 2013 in BL, SZ, ZH und ZG) immer noch über 50%.

Zweistufiger Ressourcenausgleich als Lösungsansatz

Eine Senkung der Mindestausstattung würde die Zahl der Empfängergemeinden in dieser Situation reduzieren – aber damit eben auch die Ausgleichswirkung des Finanzausgleichs schwächen. Doch es gibt eine transparente und technisch einfache Lösung, die das Problem mildert, ohne die Ausgleichswirkung zu beeinträchtigen: Den zweistufigen Ressourcenausgleich (siehe Box). Sowohl Solothurn als auch Aargau wenden einen solchen in ihrem neuen System an. Der Kanton Bern kennt einen solchen sogar schon länger.

Box: Wie ein zweistufiger Ressourcenausgleich funktioniert

Die Abbildung zeigt schematisch die Steuerkraft der Gemeinden vor und nach dem zweistufigen Ressourcenausgleich. Als Beispiel ist eine Ausgleichsquote von 40% und eine Mindestausstattung von 85% dargestellt. Die ressourcenstarken Gemeinden geben 40% jener Steuerkraft (=harmonisierte Steuereinnahme pro Kopf) ab, die den Mittelwert übersteigt, die ressourcenschwachen Gemeinden erhalten 40% ihrer «Lücke» zur mittleren Steuerkraft kompensiert. Die Rechnung geht immer auf. Jahr für Jahr entsprechen die Einzahlungen immer den Auszahlungen.

Eine Gemeinde mit Steuerkraftindex von z.B. 75% liegt 25% unter dem Mittelwert. Bei einem Disparitätenausgleich von 40% reduziert sich dieses Defizit um 10 Prozentpunkte auf 15% (0,4 * 0,25 = 0,1). Liegt die Mindestausstattung also bei 85% (der mittleren Steuerkraft), so gilt für alle Gemeinden mit Steuerkraft unter 75% eine Grenzabschöpfungsquote von 100%, und für alle Gemeinden mit Steuerkraft ab 75% eine Grenzabschöpfungsquote von 40%.

Die 1. Stufe ist horizontal ausgestaltet, sie findet also zwischen Gebietskörperschaften gleicher Ebene statt: Ressourcenstarke Gemeinden zahlen einen fixen Anteil ihres Steuerkraft­überschusses (gegenüber dem Durchschnitt) in den Ausgleich ein, mit dem dann derselbe Anteil des Steuerkraftdefizits ressourcenschwacher Gemeinden kompensiert wird. Die Disparität lässt sich damit durchs Band um diesen Prozentsatz reduzieren. Solothurn und Bern nennen dieses Instrument darum auch treffend «Disparitätenausgleich».

In der 2. Stufe werden dann Gemeinden, die nach dem horizontalen Ausgleich immer noch nicht die Mindestausstattung erreichen, durch vertikale Transfers (finanziert durch den Kanton) auf diese angehoben. Der Vorteil dieses zweistufigen Vorgehens: Die Steuerkraft, unterhalb derer für die Gemeinden eine Grenz­abschöpfungs­quote von 100% gilt, sinkt, und entsprechend sind weniger Gemeinden davon betroffen – obwohl die Mindestausstattung unverändert geblieben ist.

Ein ähnliches Ergebnis liesse sich auch mit einem nicht-linearen Verlauf von Zuschüssen an ressourcenschwache Gemeinden erreichen. So gehen der Bund und die Kantone Wallis oder Neuenburg vor. Hier resultiert für keine – oder nur ganz wenige Gemeinden – eine Grenz­abschöpfungs­quote von genau 100%, und diese sinkt dann mit zunehmender Steuerkraft kontinuierlich. Die Mathematik dahinter ist allerdings komplizierter, zudem entspricht die Summe der Abgaben der Gebergemeinden hier nicht automatisch der Summe der Beiträge an die Empfängergemeinden.

Auch ein moderner Lastenausgleich kann ineffizient sein

Widmen wir uns zweitens dem Lastenausgleich. Dieser ist vielerorts vertikal und asymmetrisch ausgestaltet: Der Kanton zahlt Transfers an jene Gemeinden, die in einer bestimmten Kategorie eine überdurchschnittliche strukturelle Belastung aufweisen. Strukturelle Lasten können soziodemografischer Natur sein (z.B. Quote von Schülern, alten Menschen oder Sozialhilfe­bezügern) oder geografisch-topografischer Natur (z.B. Fläche pro Einwohner, Höhenlage, Strassenlänge).

Der Lastenausgleich wird in vielen Kantonen für jedes Kriterium einzeln berechnet und durchgeführt. Das ist ein Problem. Ein solcher Lastenausgleich ist potenziell ineffizient und unfair zugleich. Sobald eine Gemeinde in einem Kriterium überdurchschnittlich belastet ist, erhält sie Gelder vom Kanton – unabhängig davon, wie stark unter­durchschnittlich möglicherweise ihre Belastung in anderen Kriterien ist. So kann eine insgesamt unter­durch­schnittlich belastete Gemeinde zum Empfang von Transfers berechtigt sein, während sich eine Gemeinde, die in allen Kriterien eine durchschnittliche Belastung aufweist, nicht dafür qualifiziert. Entsprechend kann auch eine Fusion zweier oder mehrerer Gemeinden zu einer Reduktion der Lastenausgleichszahlungen führen (nie aber zu einem Anstieg).

Symmetrie erhöht Effizienz und Fairness

Das Problem wird von einigen Kantonen dadurch gelöst, dass sie verschiedene Lasten zu einem einzigen Lastenindikator aggregieren, und dann basierend darauf Transfers an überdurch­schnittlich belastete Gemeinden ausschütten. Das ist eine Verbesserung, kann aber je nach Ausführung ziemlich intransparent wirken.

Die transparentere, effizientere Lösung ist es, auch den Lastenausgleich weitgehend horizontal und symmetrisch auszugestalten: Je Kriterium zahlen Gemeinden mit unterdurchschnittlicher Last in den Ausgleich ein, und Gemeinden mit überdurchschnittlicher Last empfangen Gelder aus dem entsprechenden Topf. Das kann z.B. ein Beitrag pro Schüler über/unter dem Durchschnitt sein. Die Ausgleichsquote kann so transparent pro Kriterium festgelegt werden. Mit einem solchen Vorgehen sind für eine gegebene Ausgleichsintensität weniger Transfers nötig, da der Ausgleich in beide Richtungen (nach unten und nach oben statt nur nach oben) wirkt. Das Ergebnis ist fair, und der Ausgleich kann nicht zum Fusionshemmnis werden.

Der Kanton Aargau als Vorbild für Bund und Kantone

Der Kanton Aargau hat seinen kommunalen Finanzausgleich am 01.01.2018 totalrevidiert. Dabei hat er als erster Kanton einen Lastenausgleich eingeführt, der symmetrisch und horizontal ausgestaltet ist. Er ist damit zu einem Vorbild für andere Kantone geworden – und auch für den Bund.

Wie viele Kantone führt nämlich auch der Bund seinen Lastenausgleich vertikal und asymmetrisch durch. Das ist ineffizient, denn damit werden letztlich Gelder ausgegeben, die man sich mit einem horizontalen, symmetrischen Ausgleich sparen könnte. Hier bestünde also Handlungsbedarf.

In der politischen Praxis dürfte es allerdings schwierig sein, für eine solche Änderung Mehrheiten zu finden. Denn die Transfers an empfangsberechtigte Gemeinden (bzw. beim Finanzausgleich des Bundes an die Kantone) würden nicht steigen, und Gemeinden (bzw. Kantone) mit unterdurchschnittlicher Belastung müssten neu ihren Beitrag zum Ausgleich leisten. Das ist zwar fair und effizient, aber eben nicht im finanziellen Interesse einer Mehrheit der Gemeinden. Dass dem Kanton Aargau trotzdem die Einführung eines solchen, langfristig vorteilhaften Ausgleichs gelungen ist, sollte andere Kantone – und vielleicht auch den Bund – dazu ermutigen, es auch zu versuchen.

Teil 1: Interkommunaler Finanzausgleich: Das Labor Föderalismus wirkt