Ende 2001 gelangte der Bundesrat zum Schluss, dass er sich in der Agglomerationspolitik engagieren sollte. Ziel ist eine verbesserte Koordination der Verkehrs- und Siedlungsentwicklung. Zudem seien ohne Bundesgelder die Verkehrsvorhaben durch die Kantone und Gemeinden nicht zu bewältigen, hiess es. Das in der Folge aufgesetzte Programm läuft bis heute, obwohl es Grundprinzipien des schweizerischen Föderalismus widerspricht. Doch wie genau funktioniert die Förderung des Bundes?

Im Rahmen des «Programms Agglomerationsverkehr» (PAV) können die Agglomerationen im Vierjahreszyklus Projekte einreichen, die der Bund mitfinanziert. Dafür bilden die beteiligten Kantone, regionalen Körperschaften und Gemeinden jeweils eine Trägerschaft, die gegenüber dem Bund als Einheit auftritt. Die Programme der 1. Generation mussten bis Ende 2007 eingereicht werden, Ende 2009 verfasste der Bund die entsprechende Botschaft und 2011 wurden die ersten Mittel freigegeben. 2024 werden schon die ersten Beiträge an die Agglomerationsprogramme der 4. Generation ausbezahlt, bis Sommer 2025 können sich die Regionen um Gelder für die 5. Generation bewerben.

Abbildung 1
Beitragsberechtigte Regionen

Agglomerationsprogramme können innerhalb der vom Bund als Agglomeration definierten Gebiete eingereicht werden. Dazu gehören auch Regionen wie das Oberengadin, Sarnen, Appenzell oder Näfels. map.geo.admin.ch)

1,6 Mrd. Franken: Wofür?

Pro Generation – also verteilt auf vier Jahre – gibt der Bund 1,4 bis 1,7 Mrd. Franken aus. Um seinen Beitrag an die Gesamtkosten eines Programms festzulegen, kalkuliert er dessen Kosten-Nutzen-Verhältnis, wobei er den Nutzen mithilfe einer Punkteskala beurteilt. Für Projekte mit ungünstigem (aber noch genügendem) Kosten-Nutzen-Verhältnis liegt der Beitragssatz bei 30%, für Projekte mit sehr gutem Kosten-Nutzen-Verhältnis steigt er auf bis zu 50%.

Wenn auch eine Abstufung in die andere Richtung – also mehr Geld für nicht so lohnenswerte Projekte – noch deplatzierter wäre, so wirft die genannte Abstufung doch die entscheidende Frage auf: Wenn ein Programm ein vorteilhaftes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist, warum führen die betroffenen Gemeinwesen es dann nicht auch ohne Subventionierung durch den Bund durch?

Nach föderaler Logik ist eine Unterstützung durch den Bund dann sinnvoll, wenn die Investitionen in die regionale Verkehrsinfrastruktur nennenswerte positive externe Effekte auf den Rest der Schweiz – sogenannte Spillovers – haben. Ohne Bundesbeitrag würde ein solches Projekt Gefahr laufen, nicht durchgeführt zu werden, obwohl sein gesamtschweizerischer Nutzen die – nur von Kanton und Gemeinden getragenen – Kosten übersteigt.

Es gibt diverse Verkehrsinfrastrukturen, für die das der Fall ist. Bloss: Diese werden schon heute weitestgehend durch den Bund geplant und finanziert. Das sind allen voran die Nationalstrassen, sowie im öffentlichen Verkehr neben dem gesamten Fernverkehr auch der schienengebundene Regionalverkehr. Die Massnahmen von Agglomerationsprogrammen haben dagegen ausgeprägt lokalen Charakter. Darunter befinden sich Tram- und Bushaltestellen, die Aufwertung von Ortsdurchfahrten, Velovorzugsrouten oder Verkehrsunterführungen für Fussgänger. Solche Massnahmen haben kaum nationale Spillovers – sie kommen weitestgehend der lokalen Bevölkerung zugute. Es wäre also an ihr zu entscheiden, welche Massnahmen getroffen werden sollen und wie viel von ihrem Steuergeld dafür ausgegeben werden soll.

Abbildung 2
Agglomerationsprogramme der 4. Generation

Allein die 4. Generation der Agglomerationsprogramme deckt einen Grossteil aller Regionen ab, die sich potenziell dafür qualifizieren (vgl. Abbildung 1). Mit den insgesamt bald fünf Generationen ist demnach fast jede Region mehrfach abgedeckt, hat also mehrfach Gelder vom Bund erhalten. ARE)

Nicht finanzierbar?

Die Agglomerationsprogramme werden oft damit gerechtfertigt, dass die Koordination von Siedlungsentwicklung und Verkehr eine wichtige Sache sei. Zudem fehlten den unteren Regierungsebenen die finanziellen Ressourcen, um solche Projekte zu stemmen. Während die Wichtigkeit niemand in Abrede stellt, ist das Argument der Finanzierung in zweierlei Hinsicht fehlgeleitet:

  • Erstens sollten die finanziellen Verhältnisse kein Kriterium dafür sein, welche Staatsebene für welche Leistungen aufkommt. Schliesslich haben die Kantone bzw. Gemeinden die Steuerhoheit. Ihre finanziellen Verhältnisse sind also nicht vorgegeben, sondern direkt durch sie beeinflussbar. Innerhalb der betroffenen Gemeinwesen sollte in einem demokratischen Prozess entschieden werden, welche Projekte zweckmässig sind, und welche nicht. Sind grössere Vorhaben nicht mit den vorhandenen finanziellen Mitteln durchführbar, ist eine Steuererhöhung oder die Aufnahme von Fremdkapital möglich. Werden Infrastrukturprojekte mit weitestgehend regionalem Nutzen nur durchgeführt, wenn der Bund mitfinanziert, bedeutet das letztlich, dass sie der regionalen Bevölkerung offenbar nicht genug Wert sind. Würden sie hingegen auch ohne den Bund durchgeführt, heisst das, dass der finanzielle Zustupf aus Bern einen reinen Mitnahmeeffekt darstellt. In beiden Fällen ist die Bundessubvention unzweckmässig.
  • Zweitens zeigt ein nüchterner Blick auf die Zahlen, dass die Finanzierbarkeit durchaus gegeben ist. Für das Agglomerationsprojekt der 4. Generation hat der Bund total 1,58 Mrd. Franken vorgesehen, auf den Vierjahreszyklus also knapp 400 Mio. Franken jährlich. Aktuell liegen die kumulierten Gesamtausgaben der Kantone bei etwa 100 Mrd. Franken, und in den letzten Jahren erzielten sie aufsummiert jeweils ordentliche Überschüsse von mehreren Milliarden Franken. Die Verkehrsprojekte sollten demnach auch ohne Geld aus den Agglomerationsprogrammen – und ohne Steuererhöhungen – gut stemmbar sein. 
Rosarotes Sparschwein in einer Schweizer Stadt mit Touristen an einem sonnigen Tag. (KI-Bild)

Wo der Bund den Kantonen das Feld überlassen sollte. (Ernie Ernst, Avenir Suisse, mit KI-Unterstützung)

Regionales Lobbying um Bundesgelder

Nicht nur was die Finanzierung angeht, begeben sich die Kantone in eine selbstgewählte Abhängigkeit. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Bund die eingereichten Projekte genau prüfen muss, schliesslich muss er die Verwendung der knappen finanziellen Ressourcen rechtfertigen. Die Agglomerationen haben sich im Zuge dessen in die Rolle von Bittstellern manövriert. Die Aussicht darauf, möglicherweise in Zukunft Geld vom Bund zu erhalten, mindert ihren Willen, in der Gegenwart Projekte auf eigene Kosten anzupacken. Ein negativer Bescheid des Bundes (z.B. Rückstufung in der Priorität) kann zur Sistierung eines Projekts führen.

Im Fall der Glattalbahn, die der Bund vorübergehend zurückgestuft hatte, erklärte zum Beispiel der Klotener Stadtpräsident unverblümt, das Projekt habe ohne Bundesgelder im Kantonsrat keine Chance. Wird der Bundesentscheid schlicht als Gütesiegel interpretiert, ist die Orientierung daran nicht per se zu kritisieren. Folgt eine Sistierung hingegen, weil das lokale Gemeinwesen seinen Steuerzahlern nicht die vollen Kosten auferlegen will, drängt sich schon die Frage auf, wie sinnvoll diese Anreizstruktur ist. Viel besser als am Beispiel der Glatttalbahn – «ja, wir bauen sie, aber nur wenn andere dafür bezahlen» – kann man die Fehlanreize nicht demonstrieren.

Auch gibt zu denken, dass Bundesparlamentarier offenbar nicht darum verlegen sind, die Entscheide des Bundesrates hinsichtlich der Finanzierung «ihrer» Agglomerationsprogramme zu beeinflussen. Beispielsweise fragt ein Nationalrat, ob der Bundesrat in seiner Beurteilung berücksichtigt habe, dass die Nichtfinanzierung des Zubringers Bachgraben-Allschwil (BL) das wirtschaftliche Potenzial der Region einschränke. Ein weiterer Parlamentarier möchte vom Bund wissen, ob der Langsamverkehr in Gambarogno (TI) ausgebaut werden soll. Etwas weiter zurück liegt eine Anfrage zur «Tram Region Bern». Dieses Projekt wurde zwar ins Agglomerationsprogramm aufgenommen, könnte nun aber doppelt so viel kosten wie ursprünglich geplant. Der Parlamentarier fragt, ob sich der Bund an den Mehrkosten beteiligen würde. 

Föderalistische Prinzipien bewahren

Die Bevölkerung wächst, die Urbanisierung nimmt zu und die Mobilitätsbedürfnisse wandeln sich. Eine verbesserte Koordination von Siedlungsentwicklung und Verkehr, die auch eine Verdichtung nach innen ermöglichen soll, ist deshalb eine sinnvolle Sache. Dass dabei jedoch der Bund mitfinanziert, obwohl die Projekte weitestgehend einen lokalen oder regionalen Nutzen haben, ist aus föderaler Logik kritisch zu sehen.

Die Mitfinanzierung durch den Bund beisst sich mit den Prinzipien der Subsidiarität und der fiskalischen Äquivalenz. Die ewige Weiterführung der Agglomerationsprogramme sollte hinterfragt werden. Die angespannte Lage bei den Bundesfinanzen ist ein guter Anlass, dies jetzt zu tun. 

Sparpotenzial im Bundeshaushalt: jährlich 350–425 Mio. Franken

 

Pro Generation kostet das PAV 1,4–1,7 Mrd. Franken.

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