Das von ursprünglich 30 auf rund 600 Seiten angeschwollene Regelwerk des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht dürfte in nächster Zeit noch um etliche Paragrafen reicher werden. Im Dezember sind die Bestrebungen zur Verfeinerung des risikobasierten Regulierungsansatzes bekannt geworden. Dieser Ansatz spielt bei der Berechnung der Eigenkapitalquote der Banken eine Schlüsselrolle, obwohl er von Wissenschaftern hart kritisiert wird (vgl. Blog «Zu starker Fokus auf dem gewichteten Eigenkapital», 5. August 2014). Er wird als Konsequenz aus der Finanzkrise mit einer an den ungewichteten Aktiven bemessenen Leverage-Ratio von mindestens 3% ergänzt.
Die Banken können bei der Bestimmung ihrer risikogewichteten Aktiva entweder einen standardisierten Ansatz (Standardised Approach, SA) oder einen auf bankinternen Modellen beruhenden Ansatz (Internal Ratings-Based Approach, IRBA) anwenden. Beim IRBA sind die Ausfallwahrscheinlichkeit und die zu erwartende Verlustquote einer Aktivposition von zentraler Bedeutung. Dagegen stützte sich der SA bisher auf nach verschiedenen Kategorien von Aktiven (Asset Classes) differenzierte Risikogewichte und, sofern vorhanden, auf die Bonitätsbewertungen der Ratingagenturen. Die Aktiven gliedern sich in Guthaben gegenüber Staaten und Zentralbanken, Banken und Wertpapierunternehmen, Firmen, Hypothekaranlagen und Eigenkapitalbeteiligungen. Neu soll gemäss den Vorschlägen des Basler Ausschusses auch innerhalb dieser Asset Classes differenziert werden. So sollen im Firmenkundengeschäft der Umsatz und der Verschuldungsgrad der Unternehmen und nicht mehr externe Kreditratings die Risikogewichte bestimmen. Bei Wohnhypotheken soll die generelle Eigenmittelunterlegung von 35% durch eine nach der Belehnungsquote (Loan to Value Ratio) und dem Schuldendienstdeckungsgrad (Debt Service Coverage Ratio) bemessene Gewichtung ersetzt werden. Von den Banken, die den IRBA anwenden, sollen differenzierte Eigenmitteluntergrenzen eingefordert werden.
Die Ziele der Verfeinerung sind eine bessere internationale Vergleichbarkeit der Kapitalausstattung der Banken, eine grössere Risikosensitivität und eine geringere Abhängigkeit von den Ratingagenturen. Man darf bezweifeln, dass sie die Risiken für die Stabilität des Finanzsystems signifikant eindämmen kann. Es ist vielmehr zu befürchten, dass das Regelwerk noch komplexer und intransparenter wird, neue Verzerrungen schafft, Ressourcen bindet und sowohl bei den Beaufsichtigten wie auch bei den Regulatoren hohe Kosten verursacht. Komplexität erschwert die Orientierung und schafft Anreize zur Manipulation. Die Vorstellung, Komplexität liesse sich durch immer noch mehr Regulierung in den Griff bekommen, führt in die Irre. Es braucht vielmehr einfache, transparente, aber wirksame Regeln.
Staaten sind keine risikolosen Schuldner
Um ein zentrales Thema haben die Aufsichtsbehörden bisher einen Bogen gemacht: Um die Tatsache, dass Staatsanleihen in den Büchern der Banken nicht oder nur geringfügig mit Eigenmitteln unterlegt werden müssen. Dabei haben die vergangenen Jahre deutlich gemacht, dass Staaten keineswegs risikolose Schuldner sind.
Doch nun scheint sich ein Umdenken anzubahnen. In einer Standortbestimmung hat Stefan Ingves, der Chairman des Basler Ausschusses, bekannt gegeben, dass eine Überprüfung der regulatorischen Behandlung von «sovereign risks» eingeleitet wird. Er betont darin die Binsenwahrheit, dass es keine risikolosen Aktiven gibt, weil der Wert von Vermögenspositionen stets ändern kann. Deshalb müsse man von «sovereign risk», nicht aber von «sovereign risk-free» sprechen. Die Überprüfung soll «sorgfältig, ganzheitlich und graduell» durchgeführt werden. Hoffentlich heisst das auf gut Deutsch nicht, dass man niemanden verärgern, niemandem wehtun und sich sehr viel Zeit lassen will. Das wäre sehr bedauerlich. Die Freistellung der Staatsanleihen von der Eigenmittelunterlegung und die daraus resultierende Begünstigung der öffentlichen Hand bei der Kapitalbeschaffung stellen einen wesentlichen Schwachpunkt des Basler Regelwerks dar. Statt weitere umfangreiche Detailvorschriften zu erlassen, sollten die Behörden diese fundamentale Regulierungslücke bald schliessen. Schliesslich darf nicht vergessen werden, dass die Regulierung einzelner Banken alleine noch keine Finanzmarktstabilität schafft. Das Finanzsystem muss auch durch geeignete makroprudenzielle Massnahmen wie z.B antizyklische Kapitalpuffer oder Belehnungsgrenzen für Immobilien stabiler gemacht werden.