Dass die Stadt Winterthur über den deutschen Anbieter Trianel Strom besorgen will, sorgte in der «NZZ am Sonntag» für einen Artikel mit dem Titel: «Winterthur beschafft Strom in Deutschland». Das ist nicht nur wegen des erklecklichen Strombedarfs von Belang, sondern auch deshalb, weil Trianel auch eines der grössten Kohlekraftwerke Deutschlands betreibt. Tags darauf dementiert der Leiter des Stadtwerks Winterthur, Markus Sägesser, im «Landboten». Die Stadt kaufe lediglich Dienstleistungen bei der Trianel ein, aber keinen Strom.
TagesAnzeiger: Ein Vertrag der Stadtwerke Winterthur mit einem deutschen Stromanbieter sorgt für Verwirrung. Die Sonntagspresse schreibt, Winterthur beschaffe Strom in Deutschland, Stadtrat Matthias Gfeller dementiert, Winterthur kaufe lediglich eine Dienstleistung ein. Wie funktionieren solche Verträge?
Urs Meister: Das ist sehr unterschiedlich. Grossverbraucher oder auch Versorger wie die Winterthurer Stadtwerke brauchen oft einen Zwischenhändler, der für sie an der Strombörse agieren kann. Er hat den Zugang zur Börse, kennt die Produkte, strukturiert die Beschaffung und wickelt die Geschäfte ab. Ein Teil des Strombedarfs deckt er etwa über den Terminmarkt oder über langfristige Verträge mit Produzenten. Der Einkauf erfolgt zeitlich gestaffelt, um Preisrisiken zu minimieren. Am Spotmarkt wird meist kurzfristig der Mehr- oder Minderbedarf ausgeglichen, um den Einkauf zu optimieren.
Optimieren heisst Kosten senken?
Nicht nur, es geht auch um den kurzfristigen Ausgleich. Bei einem unerwarteten Kälteeinbruch hat man plötzlich zu wenig Strom und muss von einem Tag auf den anderen zukaufen, was oft teurer ist. Wenn es wärmer wird als prognostiziert, dann kann der Strom an der Börse günstiger sein als jener aus Langfristverträgen.
Gibt es andere Argumente als den Preis, warum Städte solche Dienstleistungen in Anspruch nehmen?
Der Strompreis ist sicher ein zentrales Argument. Aber ich gehe davon aus, dass auch Schweizer Anbieter den Winterthurer Stadtwerken marktfähige Angebote unterbreitet haben. Daneben spielen Dienstleistungen wie die Vermarktung des selber produzierten Stroms oder die Ausgestaltung der strukturierten Beschaffung eine Rolle, etwa hinsichtlich der Einflussnahme des Stadtwerks auf die Zusammensetzung des Stroms im Vertrag.
Geht ein günstigerer Preis zulasten der Ökologie?
An der Börse wird Graustrom gehandelt, dabei handelt es sich letztlich um den europäischen Mix aus fossilem und ökologischem Strom. Der Preis wird dabei durch Angebot und Nachfrage bestimmt und unterscheidet sich nicht von Stromsorte zu Stromsorte.
Graustrom enthält auch Energie aus Kohlekraftwerken. Gibt es keine Möglichkeit, ganz auf Graustrom zu verzichten?
Ein Versorger kann im Grunde ohne den Börsenhandel auskommen, in dem er selber Strom produziert und bei Mehr- oder Minderbedarf den nötigen oder überschüssigen Strom bilateral ein- und verkauft. Damit verbunden sind aber nicht nur hohe Transaktionskosten, sondern auch grosse Preisrisiken und damit Nachteile für die von ihm versorgten Kunden.
Kann man daraus schliessen, dass der Anteil Graustrom trotz aller Bemühungen zugunsten einer ökologischen Gesellschaft immer mehr zunimmt?
Der Anteil am Gesamtvolumen nimmt sicher zu, aber das ist nicht schlecht. Die Börse ist effizient und sorgt dafür, dass Angebot und Nachfrage zusammenkommen. Davon profitieren vor allem erneuerbare Energien. Was politisch wünschbar ist, muss auf einer anderen Ebene umgesetzt werden, etwa über den CO2-Zertifikatehandel oder Quoten für Grünstrom.
Dieses Interview erschien am 11. November 2013 im «Tagesanzeiger Online». Mit freundlicher Genehmigung des Tagesanzeigers.