Ohne Übertreibung könnte man die Schweiz als die «Mittelstandsnation» schlechthin bezeichnen. Sie definiert sich mehr aus dem Durchschnitt heraus als von den Rändern her. Sie versteht den Mittelstand als eine tragende Säule, deren wirtschaftliche Kraft und Robustheit auch politisch stabilisierend wirkt.
Die Schweiz hat es bisher wie kaum ein zweites Land geschafft, ihren hohen Wohlstand breit zu verteilen und damit sehr integrierend zu wirken. Dementsprechend geht es dem Schweizer Mittelstand gut – sogar sehr gut, wie die gängigen Lohnstatistiken und die Daten zu den Haushaltsbudgets zeigen.
Doch diese objektive Situation kontrastiert auffallend mit der Stimmung in der Mitte der Gesellschaft. In weiten Teilen des Mittelstands ist eine starke Unzufriedenheit und Verunsicherung spürbar. Viele Ange- hörige des Mittelstands haben das Gefühl, ihre Arbeit, ihre Anstrengung und auch ihr Konsumverzicht würden nicht mehr richtig belohnt. Und dieses Gefühl ist keineswegs bloss Einbildung, es gibt sehr wohl Fakten, die das relative Zurückfallen des Mittelstandes belegen. In den letzten 20 Jahren haben nämlich nicht nur die Einkommen der obersten Schicht stärker zugenommen als jene der Mittelschicht, sondern auch jene der Unterschicht. Ein Zusammenpressen der Einkommen am unteren Rand der Mittelschicht verbaut dem Mittelstand zunehmend die Aufstiegsperspektive.
Was ist zu tun? Eine gute Bildungspolitik ist noch immer die beste Mittelstandspolitik. Ferner müssen Behinderungen und Benachteiligungen des oberen Mittelstands und der KMU abgebaut und es muss auf Feinsteuerung in der Einkommens- und Vermögenspolitik verzichtet werden.
Der Mittelstand ist tatsächlich eine ausserordentliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Kraft. Diese Kraft dient dem Gemeinwesen am meisten, wenn sie sich möglichst unbehindert entfalten kann.
Dieser Artikel erschien in der Zürcher Wirtschaft vom Januar 2013.
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