Sitzen Deutschland und die Schweiz in der Verschuldungskrise im selben gefährdeten Boot? Diese Frage diskutierten am Zermatter Symposium drei renommierte Ökonomen.
Der sicherste Weg, das Bürgertum zu zerstören, sei es, sein Geld zu zerstören. An dieses Diktum Lenins erinnerte Professor Otmar Issing, der ehemalige Chefökonom der Europäischen Zentralbank. Bisher betrieben die deutsche Bundesbank, beziehungsweise die EZB und die Schweizerische Nationalbank dieselbe wegen ihrer Solidität weltweit geachtete Geldpolitik. Können sie diese angesichts der Verschuldungskrise in den USA und im Euroraum weiterführen? Oder müssen auch sie eine Geldpolitik übernehmen, die letztlich das Geld zerstört?
«Die Deutschen sind kein Vorbild mehr», klagte Issing. Deutschland und Frankreich versetzten dem Stabilitäts- und Wachstumspakt im Euroraum schon 2002/03 den Todesstoss, als sie mit ihrer Verschuldung gegen die Maastrichter Kriterien verstiessen, sich aber gegen Sanktionen verwahrten. Eigentlich hatte der Pakt von Maastricht zum Ziel, «ganz simple Regeln» für den Haushalt der souveränen Staaten auf europäischer Ebene durchzusetzen. Stattdessen urteilte eine Jury von potentiellen Sündern über aktuelle Sünder.
Staaten müssen Verantwortung tragen
Als noch schlimmer bezeichnete Issing den Verstoss gegen die «No-bail-out»-Klausel: «Jeder Staat ist für seine Politik selbst verantwortlich, vor allem für eine schlechte.» Die Hilfsaktionen für Griechenland und andere gefährdete Staaten setzten das ganze Konstrukt der Währungsunion ausser Kraft. Viele europäische Spitzenpolitiker sähen darin zwar einen wichtigen Schritt hin zu einer politischen Union. «Aber was ist das für eine politische Union, die so entsteht?»
Er verstehe nicht, wie man auf die «illusionäre Idee» der Euro-Bonds kommen könne. Damit würde eine europäische Regierung «zutiefst undemokratisch, ohne Verantwortlichkeit gegenüber den Bürgern» über die gemeinsame Fiskalpolitik entscheiden. Entgegen dem Grundsatz «no taxation without representation» könnten die nationalen Parlamente dann nicht mehr bestimmen. «Die Begrenzung der Verschuldung hört praktisch auf.»
Eine Krise der Finanzen, nicht des Euro
Nicht die EZB hat als Währungshüterin versagt, betonten die beiden Referenten aus der Schweiz. Klaus Wellershoff, der ehemalige Chefökonom der UBS, der jetzt sein eigenes Beratungsunternehmen führt, wies darauf hin, dass sich der Euro zwar gegenüber dem Franken abgeschwächt, gegenüber dem Dollar aber aufgewertet hat.
Professor Ernst Baltensperger vom Studienzentrum Gerzensee der Nationalbank betonte: «Wir erleben eine Krise der europäischen Finanzverfassung, nicht des Euro als Währung.» Die Krise werfe aber ihren Schatten auf den Euro und belaste die EZB als Institution. Der politische Zug hin zur Gemeinschaftshaftung und damit zur Transferunion sei in voller Fahrt, stellte Baltensperger fest: «Eine übermässige Verschuldung ist kaum zu vermeiden.» Er riet aber davon ab, auf den kurzfristigen Zerfall des Euroraums zu setzen: «Der Euro ist primär ein politisches Konstrukt. Die Politik wird alles daran setzen, die Währungsunion am Leben zu erhalten.»
Die Stärke des Frankens sei Ausdruck der internationalen Krisensituation, meinte Baltensperger, auch jener in den USA. Die heutige Situation schätzte er als noch gravierender ein als jene von 1977/78, als nur der Dollar schwach war. Damals beschloss die SNB, eine Untergrenze gegenüber der D-Mark zu verteidigen. Baltensperger, der diesen Entscheid vorbereiten half, plädiert weiterhin dafür, jetzt gegenüber dem Euro eine Untergrenze festzulegen.
«You ain’t seen nothing yet»
Mit dem Wachstum oder der Verschuldung der Staaten lässt sich die Stärke oder Schwäche ihrer Währungen nicht erklären, meinte Klaus Wellershoff. So ist der Yen stark, obwohl Japan das schwächste Wachstum und die höchste Verschuldung aufweist. Weshalb ist denn der Franken «in einem Ausmass überbewertet, das wir historisch gar nicht kennen»? Wellershoff erklärte es nicht mit der gegenwärtigen Krise, sondern mit den Erwartungen: «You ain’t seen nothing yet.»
Vor allem erkannte er «drastische Unterschiede» bei den Inflationserwartungen. Deshalb werde sich der Franken weiter aufwerten, was wiederum die Schweizer Exporte belaste : Sie wuchsen im ersten Halbjahr 2011 nur noch um 3%, die deutschen aber um 16% – die Schweizer verloren also Marktanteile: «Es besteht das veritable Risiko einer Rezession.» Dennoch dürfe die SNB die Inflation nicht jener der anderen Länder angleichen, warnte Wellershoff: «Die Kosten wären in einem Land mit traditionell tiefer Inflation exorbitant.»
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