Ob das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU je Realität wird, und wenn ja, in welcher Form, steht in den Sternen. Nach dem Brexit sind die Chancen für TTIP nicht gestiegen, denn mit Grossbritannien verliert die EU auch etwas von ihrer «special relationship» mit den USA. Unklar ist weiter, unter welchen Bedingungen sich der Drittstaat Schweiz andocken könnte. Schweizer TTIP-Debatten zum jetzigen Zeitpunkt gleichen darum einem Schattenboxen.
Nörgeln von allen Seiten
Trotzdem wird eine Schweizer TTIP-Drohkulisse hochgezogen, die den angeblichen Wachstumsfanatikern und Globalisierungsgläubigen das Fürchten lehren soll. Die Allianz vereint unterschiedlichste Kräfte und Haltungen: Zu den ökologischen Kritikern (Stichworte: Genmais, Hormonfleisch) und Kapitalismusnörglern (Stichwort: Macht der Konzerne) gesellen sich einmal mehr die Bauern (Stichwort: Selbstversorgung). Sie brachten 2006 ein Freihandelsabkommen mit den USA schon vor den eigentlichen Verhandlungen zu Fall. Einmal mehr fürchten sie das Ende des rigiden Schweizer Agrarprotektionismus, denn Freihandel mit den USA ist ohne Öffnung der Landwirtschaft nicht zu haben.
In der Unsicherheit um TTIP gibt es eine Gewissheit: Die Schweiz ist Nutzniesserin der Globalisierung, sie hat die Chancen in einem Ausmass gepackt, wie nur wenige andere Länder. Der hohe Wohlstand der Schweizer Bevölkerung ist zu einem viel grösseren Teil dem Aussenhandel und ausländischem Kapital zu verdanken, als viele wahrhaben möchten. Das sieht man daran, dass wir mehr als die Hälfte unserer Wertschöpfung exportieren, um dafür ausländische Güter und Dienstleistungen zu konsumieren. Es hat sich eine Wahrnehmungsschere geöffnet zwischen wirtschaftlicher Realität und einer Innensicht, die an Selbstüberschätzung leidet oder sich in Klein-Klein-Kritik übt.
Es kann uns nicht kaltlassen, wenn die zwei wichtigsten Handelspartner vertiefte Handelsbeziehungen anstreben. Das Risiko, dass Schweizer Produzenten beim Marktzugang gegenüber ihren europäischen und amerikanischen Mitbewerbern ins Hintertreffen geraten könnten, betrifft unseren Wohlstand. Das ist keine Angstmacherei. Das Risiko betrifft nicht primär die Kapitalrenditen, denn Kapital ist mobil und sucht sich bessere Anlagemöglichkeiten, wenn ein Standort ins Abseits gerät. Es betrifft vor allem die Arbeit: unsere Löhne, unsere Jobs und die Karrierechancen der kommenden Generation. Auch die hohe internationale Kaufkraft unserer Frankenlöhne würde leiden. Hohe Löhne können nur mit hoher Produktivität bezahlt werden, wer anderes behauptet, betreibt ökonomischen Voodoo. Antreiber der Produktivität sind die exportierenden Unternehmen, denn sie sind dem globalen Wettbewerb ausgesetzt und können im Hochlohnland nur überleben, wenn sie laufend optimieren. Wer sie behindert, schadet der ganzen Bevölkerung.
Bauern als Vetomacht
Es ist stossend, dass ausgerechnet die Bauern erneut als Vetomacht auftreten wollen und dabei in Kauf nehmen, dass exportierende Unternehmen Schaden nehmen – und damit auch die ganze restliche Wirtschaft. Dabei steuert die Landwirtschaft grosszügig berechnet nur ein halbes Prozent zur Wertschöpfung bei. Bei den Kosten der Landwirtschaftspolitik denkt man zuerst an die 3,7 Milliarden Franken Subventionen und Direktzahlungen. Die könnten wir uns als reiches Land fürwahr leisten. Die wahren Kosten der Landwirtschaftspolitik bestehen aber darin, dass sie dem Land zunehmend die Chance verbaut, sich in einer (allen Unkenrufen zum Trotz) weiter vernetzenden Welt zu behaupten. Die Schweiz ist dank Offenheit und Freihandel reich geworden. Sie wird ihren Wohlstand auf Dauer nur halten können, wenn sie diese Prinzipien auch in Zukunft hochhält.
Dieser Beitrag ist im «Tages-Anzeiger» vom 4. Juli 2016 als Gastbeitrag erschienen. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.