Wer im Rentenalter seinen Lebensunterhalt nicht mehr eigenständig bestreiten kann, hat, unabhängig vom eigenen «Verschulden», Anspruch auf Ergänzungsleistungen (EL). Diese Regelung soll jedem im Alter ein Leben in Würde gewähren. Das ist auch gut so. Doch dies kann auch dazu führen, dass die Mittel der Altersvorsorge (AHV, BVG, 3. Säule) nicht für alle Kosten im Alter, inkl. Alterspflege, angespart werden, sondern lediglich für «die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise» (Art. 113 BV), womit zunehmend bei guter Gesundheit gemeint ist. Im Pflegefall reicht das private Vermögen dann nicht mehr und die öffentliche Hand muss einspringen, wie bei 39% der Pflegeheimbewohner. Diese Regelung der Pflegefinanzierung wird deshalb von vielen als unfair empfunden. In der Publikation «Generationenungerechtigkeit überwinden» schlagen wir zur Beseitigung dieser Fehlanreize ein persönliches, obligatorisches Sparen ab dem Alter 55 vor.
Wie das funktioniert
- Finanzierung Die Finanzierung sollte im Kapitaldeckungsverfahren erfolgen. Jeder Versicherte kumuliert seine einbezahlten Prämien, die er im Pflegefall verwenden kann, auf einem individuellen Konto. Es findet keine Umverteilung statt. Im Todesfall können die nicht eingesetzten Sparkapitalien vererbt werden. Damit wird indirekt das Engagement der Familienmitglieder, die durch ihre Pflegetätigkeit die Pflegekosten niedrig halten, honoriert. Die Prämienhöhe müsste so ausgelegt werden, dass sie die Finanzierung eines durchschnittlichen Heimaufenthaltes (946 Tage bei Eintrittsalter 81,4 Jahre) sichern kann.
- Leistungsberechtigte Von den angesparten Geldern können alle versicherten Senioren Leistungen beziehen, die einen hohen, ärztlich festgelegten Pflegebedarf, zum Beispiel von mindestens 60 Minuten Pflege pro Tag, nachweisen. Leistungen können ambulant (Spitex), semi-stationär (Tages- und Nachtstrukturen, Demenz-Wohngemeinschaften) oder stationär in Pflegeheimen erbracht werden.
- Versicherungspflicht Die Versicherung ist als Obligatorium konzipiert. Eine freiwillige Versicherung würde sonst von Beziehern tiefer und mittlerer Einkommen nicht abgeschlossen, weil ihnen heute die Ergänzungsleistungen die Finanzierung von Pflegekosten de facto garantieren. Die Versicherungspflicht beginnt erst im fortgeschrittenen Alter, zum Beispiel mit 55 Jahren.
- Leistungsumfang Die Versicherung deckt sowohl Pflege- als auch Betreuungsleistungen, die mittels Pauschale pro Pflegestufe abgegolten werden. Dank der Kombination von Pflege- und Betreuungsleistungen entfällt der Bedarf einer akribischen und zum Teil arbiträren Leistungserfassung für die Krankenkassen. Damit werden qualifizierte Pflegeressourcen von administrativen Tätigkeiten entlastet. Die Kosten für die Hotellerie werden bewusst nicht eingerechnet, um keine Anreize für Essensdienste oder Heimeintritte zu schaffen.
- Organisation Die Verwaltung sollte dezentral erfolgen, damit einerseits Wettbewerb entsteht– und dadurch Innovation und Effizienz gefördert werden, und andererseits die Anlagerisiken auf verschiedene Institutionen diversifiziert werden. Bestehende Organisationen wie Krankenkassen oder Pensionskassen könnten dazu in Frage kommen. Diese besitzen die nötige Infrastruktur und das Know-how für das Prämieninkasso, die Leistungsabrechnung und die Vermögensverwaltung. Denkbar wäre aber auch die Schaffung neuer Gesellschaften, die sich im Rahmen einer Lizenzvergabe für diese Aufgabe bewerben müssten.
Prämie nur auf den ersten Blick teuer
Die durchschnittlichen Pflege- und Betreuungskosten (ohne Hotellerie) in einem Pflegeheim betragen 134‘000 Franken. Daraus resultiert eine monatliche Versicherungsprämie von 285 Franken (siehe Tabelle). Dies mag auf den ersten Blick hoch erscheinen. Allerdings werden bereits heute ca. 130 Franken von den Krankenkassen getragen. Für diesen Anteil wäre die Einführung des Vorsparens kostenneutral, weil die Krankenkassenprämien im gleichen Umfang gesenkt werden müssten. Für die restlichen Pflegekosten (ca. 110 Franken) kommt die öffentliche Hand auf. Diese Kosten würden nun durch die Haushalte direkt getragen, entsprechend müssten die Steuern für natürliche Personen sinken.
Weil die Versicherungspflicht erst im fortgeschrittenen Alter, in unserem Vorschlag mit 55 Jahren, beginnt, würden jüngere Versicherte und ihre Familien signifikant entlastet. Heute sind vier von fünf Begünstigten von individuellen Prämienverbilligungen (IPV) unter 55 Jahre alt.
Solidarität sichergestellt, jedoch subsidiär
Das vorgeschlagen Modell sieht eine stärkere Eigenverantwortung für die Finanzierung der Altersvorsorge vor. Es sollte aber auch solidarische Elemente beinhalten.
- Reichen die angesparten Mittel für die Pflegekosten nicht aus – weil der Patient früher oder länger als im Durchschnitt pflegebedürftig wird –, könnten die Restkosten entweder durch eine kollektive Risikoprämie oder, wie heute, mit dem restlichen Privatvermögen des Patienten bzw. von der öffentlichen Hand bezahlt werden.
- Kann eine Person die monatliche Prämie nicht selber finanzieren, sollte der Staat, analog zur heutigen IPV-Regelung, die Prämie teils oder ganz übernehmen. Weil die Versicherungspflicht erst ab 55 Jahren gilt und dadurch die heutige IPV entlastet würde, stünden mehr Mittel für ältere Bürger zur Verfügung.
Mit diesen Vorkehrungen bliebe ein soziales, kollektiv finanziertes Auffangnetz bestehen. Es käme jedoch nur subsidiär zum Zug. Das neue System würde hingegen Weichen setzen, damit jede Kohorte selbst für ihre Pflegekosten aufkommt. Der Staat gleicht immer noch schicksalhafte Ungleichheiten aus. Übermässiger Konsum im Alter, der zu einer Kollektivierung der Pflegekosten führen könnte, wird so aber weniger gefördert.
Die neue Avenir-Suisse-Publikation «Generationenungerechtigkeit überwinden» in den Medien:
- Beitrag und Interview mit Jérôme Cosandey in in der Tagesschau,
- Beitrag in der Sendung 10vor10
- Interview mit Jérôme Cosandey in der Sendung Rendez-vous von Radio SRF.