Am letzten Dienstag haben wir gezeigt, dass gewisse institutionelle Eigenschaften der Schweiz Zweifel darüber aufkommen lassen, ob die eigentliche Wettbewerbssituation zwischen den Gemeinden überhaupt ein Grund sein kann, warum sie sich um ihre Standortgunst bemühen. Diese Frage mag unscheinbarer Natur sein, sie trägt aber genauer betrachtet viel Zündstoff in sich: Schliesslich wird dem Kampf der Gebietskörperschaften um Steuersubstrat vom gesamten politischen Spektrum eine grosse Bedeutung bei der Gestaltung des Staatsapparates zugeschrieben, sei es – von linker Seite – als Fluch (ein Steuersenkungswettlauf, der die Qualität staatlicher Dienstleistungen aushöhlt, auf dem Buckel des Mittelstandes und der Armen ausgetragen wird und nur wenigen Reichen nützt) oder – von liberaler Seite – als Segen (der Wettbewerb als Disziplinierungsinstrument, der uns verhältnismässig schlanke, effiziente Verwaltungen beschert, und diese dazu anhält, sich ums Bürgerwohl zu kümmern).
Viele Anreize gegen den Standortwettbewerb
In Wirklichkeit gäbe aber nur schon die vertikale Dreiteilung der Schweiz in die drei Staatsebenen den Gemeindeexekutiven gute Gründe, einen möglichst hohen Steuerfuss anzustreben, um sich ein komfortables Leben ohne Sparsamkeitsbemühungen leisten zu können, denn die Mehreinnahmen kämen ja vollständig der Gemeinde zugute, während die Gesamtsteuerbelastung aus Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern nur leicht anstiege. Auch reagieren die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital nicht so empfindlich auf die Steuerbelastung, dass Steuererhöhungen langfristig bestraft und –senkungen belohnt würden. Spätestens der Finanzausgleich macht dem Standortwettbewerb so gesehen vielerorts den Garaus: Fast 40% aller Gemeinden und sogar 56% der Deutschschweizer Gemeinden könnten sich folgenlos aus dem Standortwettbewerb ausklinken, denn alle Einnahmenverluste, die der Wegzug guter Steuerzahler nach sich zöge, würden hier im vollen Umfang durch Finanzausgleichszahlungen kompensiert (lesen Sie hierzu Abschnitt 6.3.1 des Kantonsmonitoring 5).
Ungeachtet dieser Umstände scheint der Standortwettbewerb in der Schweiz, gerade auch auf kommunaler Ebene, aber recht gut zu funktionieren. Zwar ist es schwierig bis unmöglich, dies in Zahlen zu messen, jedoch sind, wo man hinschaut, meist redliche Bemühungen festzustellen, die Steuerbelastung tief und die Qualität des öffentlichen Angebots hoch zuhalten. Warum ist das so?
Die Rolle der direkten Demokratie
In weiten Teilen ist das der direkten Demokratie und der Bürgernähe der kommunalen Einheiten zu verdanken: Ein Steuerzahler maximiert bei seinen Entscheidungen bestimmt nicht die Zielfunktion «Einnahmen der Gemeinde». Steuerfusserhöhungen haben und hatten in den meisten Gemeinden nur dann eine Chance an den Gemeindeversammlungen oder Urnen, wenn sie sehr gut begründet waren. Gelegentlich wurde auch schon Gemeinden in offensichtlichen finanziellen Schwierigkeiten eine Erhöhung des Steuerfusses verwehrt. Steuersenkungen haben es da deutlich leichter, vor allem, wenn sie nicht in Bezug zum Abbau öffentlicher Leistungen gesetzt werden. Auch über die Wahlen nehmen die Stimmbürger Einfluss. Sie wählen Gemeindepolitiker, denen sie eine hohe intrinsische Motivation zutrauen, sich für ein möglichst gutes Verhältnis zwischen Steuerbelastung und Qualität der kommunalen Leistungen einzusetzen. Die Trefferquote wie auch die Kontrollmechanismen sind hierbei auf Gemeindeebene wegen der grösseren Nähe der Bürger zu den politischen Akteuren besser als in grösseren politischen Einheiten.
Diese intrinsische Motivation kommunaler (aber auch kantonaler) Politiker geht in der Tat manchmal sehr weit. In Gesprächen mit Lokal- und Regionalpolitikern ist oft der Stolz darüber spürbar, dass ihre Gemeinde, ihr Kanton eine sehr niedrige Steuerbelastung aufweist, die besten Leistungen bietet oder eine Krise ohne drastische Erhöhungen des Steuerfusses überwunden hat. Der Wettbewerb funktioniert hier indirekt. Die Konkurrenz zwischen den Gebietskörperschaften schafft Vergleichsmöglichkeiten und ermöglicht damit erst das Begehren oder die Forderung, «besser» als der Nachbar zu sein.
Das ist die gute Nachricht; Gemeindepolitik wird offenbar von Menschen gemacht, die sich dem Wohl ihrer Gemeinde unabhängig von schnöden Ertragsmaximierungsüberlegungen verpflichtet fühlen. Wenn sich aber, um ein Beispiel aus dem Kanton Bern zu nennen, für den Staatshaushalt einer ressourcenschwachen Gemeinde der Zuzug eines Sozialhilfeempfängers eher lohnt als die Ansiedlung eines kleinen Unternehmens, dann läuft, ungeachtet der tatsächlichen Reaktion auf solche Fehlanreize, etwas schief. Das Urteil über Finanzausgleichssysteme, die Leistung so verbreitet bestrafen, darf deshalb nicht milde ausfallen. Ebenso wenig sollten die weiteren, teilweise groben Mängel ignoriert werden, die eine Mehrheit der kantonalen Systeme aufweist.
Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in der Publikation «Irrgarten Finanzausgleich – Wege zu mehr Effizienz bei der interkommunalen Solidarität».