Ohne Zweifel konnten im vergangenen Jahrzehnt die Themen Energie und globale Erwärmung bei den Schweizerinnen und Schweizern ins Bewusstsein gerufen werden. Im besten Fall führte das dazu, dass man die Konsum- und Entsorgungsgewohnheiten ein wenig angepasst hat, um «seinen Beitrag zu leisten ». Bioprodukte und Mülltrennung sind hier die Stichworte. Das ist zwar lobenswert und wohl der grossen Medienpräsenz des Themas zu verdanken. Zudem ist das Thema Nachhaltigkeit als Hauptanliegen beliebt bei Firmen und Politikern. Das Problem sehe ich nun aber darin, dass die meisten glauben, das sei bereits genug. Besonders augenfällig ist diese Tatsache beim ansteigenden Verkehr.
Wer regelmässig unterwegs ist, bemerkt, dass Züge und Strassen oft überfüllt oder verstopft sind. Grund dafür sind weder die Bevölkerungszunahme noch zu wenig ausgebaute Verkehrsinfrastrukturen. Im Gegenteil, gute Erschliessung und niedrige Preise wirken einladend. Die Kosten für die Verbraucher sind aber im Vergleich zu den effektiv entstehenden Kosten zu niedrig, was eine zu hohe Nachfrage nach Mobilität zur Folge hat.
Mit Kosten sind auch die negativen Auswirkungen gemeint, die Menschen in der unmittelbaren Umgebung betreffen und für die Verursacher selber nicht direkt spür- und nachvollziehbar sind. Lärm, Abgase, Stau und verbaute Umwelt betreffen in einem industrialisierten und urbanisierten Land wie der Schweiz fast alle, ohne dass Betroffene dafür kompensiert werden. Der einzelne nimmt keine Rücksicht zugunsten der Gemeinschaft – auch der freie Markt kann dies offensichtlich nicht kompensieren. Dies, obwohl der Verkehr die oben erwähnten – offensichtlichen – externen Effekte mit sich bringt. Das zeigt für mich, dass die von Natur aus egoistisch handelnden Menschen nicht in der Lage sind, zugunsten anderer auf etwas zu verzichten. Es kann auch bedeuten, dass viele sich der Konsequenzen ihres Handelns nicht bewusst sind oder diese schlichtweg noch unterschätzen.
Die Lösung für diese Problematik sehe ich weder in zusätzlichen Kampagnen noch in der Bevormundung durch den Staat, wie beispielsweise durch Steuern auf Benzin oder niedrigere Höchstgeschwindigkeiten auf Strassen. Das ist nicht effektiv, da Symptome und nicht die Ursache bekämpft werden. Zudem wäre das kaum angemessen für eine liberale und vernünftig denkende Gesellschaft.
Mein Lösungsvorschlag ist die Wiedereinführung autofreier Sonntage. Vor rund 40 Jahren fanden in der Schweiz vier autofreie Sonntage statt. Angeblich, um den knappen Treibstoff zu sparen. Doch vielmehr war dies ein Warnsignal, das den Schweizern vor Augen geführt hat, dass die Ressourcen der Erde begrenzt sind. Diese alte Idee möchte ich wieder ins Leben rufen. Dabei ist mehr die Diskussion über die Durchführung von Interesse als die Durchführung selbst.
Allein die Tatsache, dass solche Massnahmen zur Debatte stehen, soll als Warnsignal die Aufmerksamkeit wecken, um die folgenden zwei Punkte umsetzen zu können:
Erstens sollen die Schweizer klarer informiert werden, was ihr Verhalten in bezug auf Verkehr und Bedarf an Mobilität tatsächlich für Auswirkungen hat.
Zweitens muss den Schweizern bewusst gemacht werden, dass sie selber direkt betroffen werden und eine Verhaltensänderung (beispielsweise näher beim Arbeitsplatz wohnen, Velo statt Auto oder bessere Planung) auch für sie selber Nutzen bringt.
Denn ironischerweise können die Menschen erst überzeugt werden, etwas Gutes für die Gemeinschaft zu tun, wenn es für sie selber Vorteile bringt – wenn es auch nur ein gutes Gewissen oder finanzielle Sicherheit ist. Dank diesem Prinzip funktionieren unsere «sozialen» Einrichtungen und so, glaube ich, können die Menschen auch dazu angeregt werden, ihr Verhalten zu hinterfragen und zu ändern.
* Yannick Charpié studiert Architektur an der ETH Zürich.
Dieser Text erschien in der Sonderbeilage «Reformideen – Rohstoff für die Schweiz» des Schweizer Monats (Sonderthema 9/Februar 2013).
Weitere Artikel in dieser Publikation:
Ideen braucht das Land (Einleitender Essay von Gerhard Schwarz)
Neue Becken für die Schweiz (Niklaus Bieri, Universität Bern)
Flexibles Rentenalter und Altersarbeit (Marion Haemmerli, Université de Lausanne)
Bodenabgaben gegen die Zersiedelung (Piet Justus Wolf, Universität Zürich)
Eine Lizenz zum Rauchen (Martin Eschenmoser, Universität St. Gallen)
Schulische Wettbewerbe für bessere Motivation (Xinyi Zhou, Universität Basel)
Die Schweiz exportieren! (Harold James)