Die Schweiz ist das Wasserschloss Europas. Doch unser Wasserreichtum ist bedroht. Das Verschwinden der Gletscher wird unseren Wasserhaushalt tiefgreifend verändern und zu mehr Trockenheits- und Hochwasserereignissen führen. Um uns davor zu schützen, brauchen wir mehr Stauseen – und dies möglichst schnell. Wenn in der Schweiz über das Wasser diskutiert wird, dann in der Regel über Restwassermengen und Flussrenaturierungen. Dass der Schweiz das Wasser ausgehen könnte, ist kaum je Thema. Im September 2012 publizierte Ergebnisse des Nationalen Forschungsprogrammes 61 weisen jedoch darauf hin, dass der Wasserhaushalt der Schweiz in Zukunft empfindlich gestört werden könnte. Ursache dafür ist der Klimawandel und der damit verbundene Temperaturanstieg, der die Gletscher abschmelzen lässt.
Gletscher nehmen eine grosse Menge Wasser auf und geben es relativ gleichmässig wieder ab. Niederschlag wird im Winter im Gletscher eingelagert und über die heissen Monate nach und nach wieder abgegeben. Seit Jahren gewinnen diese Gletscher im Winter aber weniger an Masse, als sie im Sommer verlieren – sie schmelzen. Langfristig ist – selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass die internationale Klimapolitik den weltweiten Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius begrenzen kann – vom totalen Verschwinden der Schweizer Gletscher auszugehen. Ohne diese kann der winterliche Niederschlag weniger gut konserviert werden und fliesst schon bei der ersten Schneeschmelze ins Tal ab. Ist alles Wasser im Frühsommer schon weg, bleiben keine Reserven für die heissen Hochsommermonate. Klimamodelle deuten weiter darauf hin, dass sich auch die Verteilung des Niederschlags ändern wird – es könnte längere trockene Phasen und mehr Niederschlag in ausgesprochen nassen Phasen geben. Die ausgleichende Wirkung von Gletschern wird bei zunehmenden Niederschlagsschwankungen besonders schmerzlich fehlen. Hochwasser und Wasserknappheit führen zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten.
Gletscher können – bezüglich ihrer Funktion als Wasserregulierer – durch Stauseen ersetzt werden. Stauseen können Schmelzwasser aufnehmen und damit Hochwasserereignisse entschärfen oder verhindern. Während Trockenphasen kann Wasser aus Stauseen einen Mindestpegel der Fliessgewässer gewährleisten. Ist ein Stausee an ein Pumpspeicherkraftwerk angeschlossen, kann die Speicherkapazität zum Ausgleich von Produktions- und Nachfrageschwankungen im Elektrizitätsnetz dienen. Natürliche, beim Gletscherrückgang neu gebildete Bergseen können zu Stauseen ausgebaut werden. Die Finanzierung von neuen Stauseen ist eine grosse Herausforderung. Die Investitionskosten sind aber planbarer und langfristig geringer als die Schadenskosten von Hochwasser oder Wasserknappheiten.
Da Projektierung und Bau von Stauseen viel Zeit brauchen, ist rasches Handeln geboten. Die langfristige Sicherung des Wasserhaushaltes bedarf der Planung und Koordination über die Kantonsgrenzen hinweg – wir brauchen eine gesamtschweizerische Wasserpolitik, welche den neuen Perspektiven Rechnung trägt. Damit zügig und koordiniert geplant werden kann, muss eine politische Institution mit den notwendigen Kompetenzen geschaffen werden: Eine Task Force, welche sich auf die neusten Erkenntnisse stützt und bald ein detailliertes Konzept zu den benötigten Bauten und deren Finanzierung vorlegen kann.
Um Extremereignisse im Wasserhaushalt einer gletscherfreien Zukunft ausgleichen zu können, braucht die Schweiz neue Stauseen. Damit wir rechtzeitig darüber verfügen, benötigen wir eine neue Wasserpolitik und eine Task Force, die eine solche umsetzen kann.
* Niklaus Bieri studiert Political and Economic Philosophy an der Universität Bern.
Dieser Artikel erschien in der Sonderbeilage «Reformideen – Rohstoff für die Schweiz» des Schweizer Monats (Sonderthema 9/Februar 2013).
Weitere Beiträge in dieser Publikation:
Ideen braucht das Land (Einleitender Essay von Gerhard Schwarz)
Flexibles Rentenalter und Altersarbeit (Marion Haemmerli, Université de Lausanne)
Bodenabgaben gegen die Zersiedelung (Piet Justus Wolf, Universität Zürich)
Eine Lizenz zum Rauchen (Martin Eschenmoser, Universität St. Gallen)
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