Die Schweizer Stromversorgung ist aufgrund der besonders hohen Bedeutung des internationalen Handels eng mit den Nachbarländern vernetzt. Sowohl die Versorgungssicherheit als auch die Preisbildung am Markt hängen wesentlich vom europäischen Kontext ab. Eine sinnvolle Energiestrategie sollte daher die Zusammenhänge des internationalen Marktes berücksichtigen. Die Politik sollte gerade deshalb darauf verzichten, die Grösse und Struktur des inländischen Kraftwerksparks zu bestimmen. Nötig wären vielmehr technologieneutrate Rahmenbedingungen.
Dass die Schweizer Stromversorgung in der Politik häufig als eine Art Insel wahrgenommen wird, ist im Grunde erstaunlich. Denn in kaum einem anderen europäischen Land spielt der internationale Stromhandel eine derart zentrale Rolle. 2011 importierte die Schweiz 83 Terawattstunden (TWh) und exportierte 81 TWh Strom (vertragliche Werte), während der Verbrauch im Inland lediglich 59 TWh betrug (siehe Grafik 1). Die hohe Relevanz des Handels hängt mit unterschiedlichen Faktoren zusammen:
Erstens ist das Schweizer Stromnetz im internationalen Vergleich besonders eng mit den Stromnetzen der Nachbarländer verbunden, was den Handel technisch begünstigt.
Zweitens ist die Schweiz aus Gründen der Versorgungssicherheit auf die Möglichkeit von Importen angewiesen. Denn Importe können temporär ausfallende Grosskraftwerke ersetzen. Ausserdem benötig die Schweiz vor allem im Winter Stromimporte, wenn die Produktion von Wasserkraftwerken geringer ist. So war das Land 2011 während 7 Monaten Netto-Importeur von Strom.
Drittens sind die Pumpspeicherkraftwerke für einen rentablen Betrieb auf den Austausch mit dem Ausland angewiesen. Die Relevanz dieses Aspektes dürfte zunehmen, denn fast unbemerkt ist in der Schweiz ein eigentlicher Investitionsboom ausgebrochen. Die aktuellen Ausbauprojekte umfassen eine aggregierte Pump bzw. Produktionsleistung von etwa 4000 Megawatt (MW). Zum Vergleich: Die aggregierte Leistung der Schweizer Kernkraftwerke beläuft sich auf rund 3200 MW.
Viertens ist die Schweiz ein Transitland, da Italien trotz grundsätzlich hinreichender eigener Produktionskapazitäten in grossen Mengen Strom aus dem Norden importiert. Die italienischen Strompreise liegen vor allem wegen höherer Gaspreise über dem Niveau von Frankreich oder Deutschland.
Die wachsende Attraktivität des Handels in den liberalisierten Strommärkten ist in erster Linie durch regionale Unterschiede bei Kraftwerksstrukturen und Produktionskosten begründet. Dies gilt besonders bei den neuen erneuerbaren Energien wie Wind oder Photovoltaik, deren Ergiebigkeit ausgeprägt von lokalen Gegebenheiten abhängt, aber auch bei konventionellen Kraftwerken, da sich die Gas- oder auch Kohlepreise regional unterscheiden können. Wegen des grenzüberschreitenden Handels bilden sich die Schweizer Strompreise im Grosshandel nicht isoliert. Vielmehr übernimmt das Land die Preise seiner Nachbarn, wo die Kosten fossiler Kraftwerke – vor allem Gas – preisbestimmend sind. Das bedeutet, dass Angebot und Nachfrage im Inland nur einen marginalen Einfluss auf die Preise ausüben. Viel relevanter sind die Umstände in Europa. Dazu gehören die Konjunktur, die Preise für Gas und Kohle, die Struktur des Kraftwerksparks sowie die europäische Klimapolitik, die ihrerseits den Preis der CO2-Emissionszertifikate oder die Förderung erneuerbarer Energien bestimmt. Die Schweiz kann sich diesen Einflüssen nicht entziehen. Schliesslich bestimmen sie, ob sich neue Gas-, Wasser- oder auch Kernkraftwerke auf kommerzieller Basis betreiben lassen. Ähnliches gilt bei der Förderung erneuerbarer Energien: Je tiefer die Preise am Markt, desto höher sind die nötigen Subventionen.
Internationale Entwicklungen: Gas und Wind
Aus der Optik eines kleinen, besonders eng mit dem internationalen Strommarkt verflochtenen Landes ist es daher rational, die internationalen und europäischen Entwicklungen im Auge zu behalten. Auf der internationalen Ebene ist besonders der Boom beim unkonventionellen Gas von Interesse. Vieles spricht dafür, dass Gas voraussichtlich auch längerfristig eine wichtigere Rolle einnehmen wird. Die wachsende Verfügbarkeit von Gas wird sich in relativ tiefen Preisen niederschlagen. Davon kann Europa profitieren, selbst wenn die Förderung von unkonventionellem Gas auf dem Kontinent bescheiden bleibt (siehe «Boom beim unkonventionellen Gas»). In jedem Fall wird der Boom auch Auswirkungen auf die liberalisierten Strommärkte haben. Denn auf diesen sind es üblicherweise die konventionell- thermischen Kraftwerke, die die Preise bestimmen. In den USA, wo die Gaspreise besonders stark eingebrochen sind, verdrängen die günstigeren Gaskraftwerke vermehrt Kohlekraftwerke. So sank 2011 der Kohleverbrauch um 4,6% gegenüber dem Vorjahr, während der Verbrauch von Gas um 2,4% anstieg.’ In Europa zeichnet sich diese Entwicklung noch nicht ab, da die regionalen Gaspreise vorerst noch höher und die Preise für CO2-Zertifikate wegen der lahmenden Konjunktur günstig sind. Kohlekraftwerke bleiben daher aus betriebswirtschaftlicher Sicht vorerst relativ attraktiv. Der Verdrängungseffekt betrifft jedoch auch die subventionierten erneuerbaren Energien. Sinkende Strommarktpreise erhöhen die Kosten der Netto-Subventionen, die der Differenz zwischen Durchschnittskosten einer geförderten Technologie und dem Marktpreis entsprechen. Daneben verliert aber auch die Kernkraft an Attraktivität, denn sie ist in den liberalisierten Strommärkten aufgrund der tiefen variablen sowie der hohen fixen Kosten «Preisnehmerin». Bleiben die Gas- und Strompreise längerfristig tief, sind neue Kernkraftwerke kaum rentabel. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird in Grossbritannien ein Subventionsmodell für die klimafreundlichen Kernkraftwerke diskutiert (sog. Feed-in Tariff with Contract for Difference).
Konsequenzen für den europäischen Strommarkt
Die Entwicklung beim unkonventionellen Gas hat Konsequenzen für den europäischen Strommarkt. Vermehrt sind es sowohl in der Spitzen- als auch in der Grundlast die Gaskraftwerke, deren Kosten am Markt preisbestimmend sind. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass im Zuge der Marktliberalisierung besonders viele Gaskraftwerke gebaut wurden – ungeachtet oder gerade wegen der überall propagierten Energiewende. Zwischen 2000 und 2011 gingen in der EU insgesamt netto mehr als 220 000 MW neue Kraftwerkskapazitäten ans Netz. Mit einer Gesamtleistung von 116 000 MW dominieren die neuen Gaskraftwerke, gefolgt von84 000 MW Windkraft. Diese Kombination Gas und Wind ist kein Zufall. So haben Gaskraftwerke aus betriebswirtschaftlicher Optik für die Stromanbieter bedeutende Vorteile. Sie können in kurzer Zeit gebaut werden, weisen relativ geringe Bau- und damit Kapitalkosten auf, sind aufgrund ihres im Vergleich zu den Kohlekraftwerken geringeren CO2-Ausstosses gegenüber der Klimapolitik weniger exponiert. Sie lassen sich zudem flexibel und komplementär zur stochastischen Windkraft einsetzen – etwa als Back-up- Technologie bzw. als Anbieter im Regelenergiemarkt. Die Windkraftwerke ihrerseits dominieren beim subventionierten Ausbau der erneuerbaren Energien. Weil die Kosten der Windkraft (Onshore) heute nahe an den Marktpreisen liegen, lässt sie sich im Verhältnis zu anderen Technologien wie etwa Photovoltaik relativ günstig fördern. Der Boom bei Wind und Gas hat aber auch Konsequenzen bei der Preisbildung am Markt. Während den Perioden mit schleppender Konjunktur und geringer Stromnachfrage bestimmen häufig die Grenzkosten moderner Gaskraftwerke das Strompreisniveau im Grosshandel. Das heisst, es gelingt den Betreibern der Anlagen nicht, ihre Fixkosten zu decken. Ein Blick auf die Future- Preise 2013 und die grob berechneten künftigen Produktionskosten für Gas- und Kohlekraftwerke illustriert die angespannte Situation in Europa (siehe Grafik 2). Offensichtlich sind die weiteren Investitionsanreize gering. Der Effekt wird verstärkt durch die Tatsache, dass subventionierte erneuerbare Energien wie Wind oder Photovoltaik immer häufiger die konventionellen Kraftwerke aus dem Markt drängen, weil sie ohne Grenzkosten produzieren und mit Vorrang ins Netz eingespiesen werden. Dadurch sinken im Durschnitt die Preise sowie die Auslastung und Rentabilität konventioneller Kraftwerke (sog. Merit-Order-Effekt).
Konsequenzen für die Schweizer Energiepolitik
Nicht nur die Konjunktur, sondern auch Kohle- und Gaspreise sowie die regulatorischen und politischen Entscheide in Europa bestimmen wesentlich die Strompreise und damit die Wirtschaftlichkeit von Kraftwerken in der Schweiz. Besonders exponiert sind die handelsorientierten Pumpspeicherwerke. Ihre Einsatzmöglichkeiten und Rentabilität werden etwa durch den europäischen Netzausbau beeinflusst. So können Anpassungen der Netze innerhalb der EU aufgrund von technischen Externalitäten die Verfügbarkeit grenzüberschreitender Netzkapazitäten in der Schweiz positiv oder negativ verändern. Daneben hängt die Wirtschaftlichkeit der neuen Schweizer Pumpspeicherwerke vom weiteren europäischen Ausbau der stochastisch produzierenden erneuerbaren Energien ab. Weil die Tag-Nacht-Preisunterschiede eher abnehmen, sind die Anlagen vermehrt auf die von Wind und Sonne verursachten kurzfristigen Preisvolatilitäten angewiesen. Und schliesslich beeinflussen auch regulatorische Interventionen der EU das Geschäftsmodell der Pumpspeicherwerke. Besonders kritisch sind Bestimmungen zur Dämpfung von Preisausschlägen. Zu solchen Regulierungen gehören in erster Linie eine (weitere) Begrenzungen negativer Preise im börslichen Handel oder die Einführung sogenannter Kapazitätszahlungen. Solche Subventionen für die blosse Bereitstellung konventioneller Kraftwerke würden sich als eine Art Preisobergrenze am Markt auswirken.
Berücksichtigt man die hohe Integration der Schweiz im europäischen Kontext, offenbaren sich die Schwächen der in der Politik diskutierten Energiestrategien. So wäre eine Strategie, die in erster Linie den subventionierten Ausbau neuer erneuerbarer Energien vorsieht, für ein kleines Land wie die Schweiz besonders teuer. Aufgrund mangelnder Standorte für die relativ attraktive Windkraft müsste das Land in erster Linie auf die (noch immer) teure Photovoltaik setzen (siehe «Potenziale und Kosten erneuerbarer Energien»). Die hohen standortspezifischen Kosten sprechen daher gegen einen forcierten Ausbau neuer erneuerbarer Energien im Inland. Sinnvoller wäre es, diesen Strom aus Regionen zu importieren, die ihn aufgrund ihrer günstigen Lage künftig bei den Marktpreisen produzieren können. Die Relevanz des europäischen Kontextes relativiert jedoch auch eine politische Strategie, die den Ausbau von Grosskraftwerken vorsieht. Ob diese unter den gegebenen Marktbedingungen überhaupt gebaut würden, ist aus heutiger Optik ohnehin unsicher. Die angespannte Lage am europäischen Markt und nicht zuletzt das ungünstige Wechselkursverhältnis machen Investitionen in neue Kraftwerke im Inland aus betriebswirtschaftlicher Sicht auf absehbare Zeit wenig attraktiv. Dass die öffentlichen Versorger aufgrund der politisch geprägten Steuerung und ihrer faktischen Staatsgarantie dennoch investieren würden, ist aus Sicht der Konsumenten und vor allem der Steuerzahler keineswegs als Vorteil zu werten. Politisch definierte Kraftwerksstrategien drohen in jedem Fall eine teure Option zu werden.
Technologieneutrale Regulierung
Gerade weil der europäische Markt für die Schweiz derart relevant ist, sollte die Energiestrategie konsequent auf diesen ausgerichtet werden. Anstelle einer Planung eines «optimalen» Energiemixes braucht es marktliche Rahmenbedingungen. Flexible, am Markt orientierte Preise sollten sowohl den Verbrauch als auch die Produktion steuern. Das ist umso bedeutender, als mit der Liberalisierung des Marktes auch ein Prozess von Innovationen in Gang gekommen ist.’ Die Palette neuer Technologien ist breit, und kein Regulator oder Politiker kann eine sinnvolle Prognose darüber machen, welche sich mittel- und längerfristig durchsetzen wird. Umso sinnvoller ist es, dies dem Markt zu überlassen. Das bedeutet nicht, dass die Politik keine Rahmenbedingungen setzen kann, doch sollten diese technologieneutral sein. Sie sollten den Preismechanismus nicht verzerren, etwa indem sie Konsumenten über tiefe (kostenbasierte) Tarife subventionieren oder gewisse Technologien begünstigen oder benachteiligen. In einer idealen Welt müssten alle Kraftwerkstechnologien sämtliche von ihnen verursachten Kosten tragen – auch die externen Kosten durch Umweltbelastung und Risiken. Doch im Falle der Kernkraft stösst dieses Prinzip an Grenzen. Denn die wissenschaftlichen Schätzungen über Schadensausmass und Wahrscheinlichkeiten einer Kernschmelze gehen sehr weit auseinander – die Festlegung der Versicherungsdeckung wird damit zu einem politischen Entscheid über den Einsatz der Kernkraft. Alternativ könnte der Gesetzgeber – falls es dem gesellschaftlichen Konsens entspricht – Technologien mit besonderen Grossrisiken vom Markt ausschliessen. Dies würde neue, inhärent sichere Kraftwerksgenerationen sinnvollerweise zulassen. Wann diese zur Verfügung stehen und ob sie wirtschaftlich sind, ist bei der Definition der Rahmenbedingungen irrelevant. Ähnliches gilt bei konventionell-thermischen Kraftwerken (v.a. Gas). Ob sie in der Schweiz gebaut werden, sollte kein politischer, sondern ein betriebswirtschaftlicher Entscheid sein, der allfällige externe Kosten der CO2- Emissionen berücksichtigt. Sinnvollerweise wird daher eine Lenkungsabgabe mit dem Ausland koordiniert. Wendet die Schweiz einseitig besonders strikte Regeln an, werden Gaskraftwerke nur ausserhalb der Landesgrenzen gebaut mit gleichen Emissionen, aber geringerem Beitrag zur Systemstabilität im Schweizer Übertragungsnetz. Umgekehrt führen besonders grosszügige Regelungen (z.B. keine Abgabe bzw. CO2-Kompensation) zu einer Art Subvention für inländische Produzenten, da sich die Grosshandelspreise im internationalen Kontext bilden. Ein Anschluss an den CO2-Emissionszertifikatehandel in Europa würde zu einer wettbewerbs-neutralen Regulierung von Gaskraftwerken führen. Der Zertifikathandel stellt ein effektives Instrument zur Internalisierung von externen Kosten dar. Denn die CO2-Vermeidung erfolgt in jenen Ländern und Sektoren, wo sie relativ günstig ist. Unter diesen Voraussetzungen ist es im Grunde nicht sinnvoll, im Rahmen einer Klimapolitik erneuerbare Technologien zusätzlich über die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) zu subventionieren. Ohnehin ist die KEV ineffizient, da sie teure Technologien tendenziell stärker fördert, weshalb technologiespezifische Subventionsgrenzen definiert werden müssen. Sie fördert zudem einseitig den Ausbau im Inland, obschon bei den meisten Technologien die standortspezifischen Kosten im internationalen Vergleich sehr hoch sind. Ausserdem gibt die KEV keine sinnvollen, an den kurzfristigen Angebots- und Nachfrageverhältnissen ausgerichteten Produktionsanreize. Sollte die Politik dennoch an einer Förderung festhalten, müsste diese auf einem Quotenmodell basieren, das von den Versorgern einen minimalen Anteil erneuerbarer Energien verlangt, deren Herkunft nicht spezifiziert ist.
Fazit
Die dargestellten Ansätze sind nicht nur technologieneutral, sondern unterscheiden auch nicht zwischen Produktion im Inland oder Ausland. Je nach Situation im Markt und standortspezifischen Kosten sind Importe für ein kleines, eng in das europäische Netz integriertes Land vorteilhaft. Wenn aus Gründen der Netzstabilität zwingend zusätzliche Kraftwerkskapazitäten im Inland nötig werden, der Markt jedoch keine ausreichenden Investitionsanreize vermittelt, dann könnte der Netzbetreiber (Swissgrid) in Zusammenarbeit mit der Regulierungsbehörde den Bedarf an bestimmten Knoten im Netz definieren und den Bau eines Kraftwerks ausschreiben respektive für die Bereitstellung der Kraftwerkskapazität eine Entschädigung offerieren. Ähnliche Modelle existieren heute im Reserve- bzw. Regelenergiemarkt. Eine sinnvolle «Verfeinerung» dieses Ansatzes stellen differenzierte Netztarife für Kraftwerke (Anschluss- und/oder Einspeisegebühr) dar, welche sogenannte Netzexternalitäten minimieren. In diesem Ansatz werden Kraftwerke je nachdem, ob deren Einbindung in das Netz aufgrund ihres Standortes oder ihres Produktionsprofils Kosten verursacht oder einen Nutzen generiert, mit einem entsprechenden Netztarif belastet oder begünstigt.
Dieser Artikel erschien zusammen mit Potenziale und Kosten erneuerbarer Energien und Boom beim unkonventionellen Gas.
Dieser Artikel erschien in «Die Volkswirtschaft» vom November 2012.