«Wir wollen ein künftiges Europa doch nicht etwa als einen zentralistischen Staat aufbauen, sondern wir wollen…ein föderatives, möglichst reich gegliedertes Europa, in dem die einzelnen Länder und, wenn Sie wollen, die Stämme – ich brauche ja nur mein eigenes Vaterland anzusehen – noch hinreichend Gelegenheit haben, ein ihren Vorstellungen entsprechendes Eigenleben zu führen, ohne dass damit die Geschlossenheit und Einheitlichkeit des Gemeinsamen Marktes oder auch der politischen Kraft Schaden leiden müsste.»
«Ich erachte den Aufbau der Schweiz als ein wunderbares Beispiel dafür, wie ein künftiges glückliches Europa strukturiert sein müsste. Ich glaube, es wäre unmöglich und dazu tragisch, alles das, was das Eigenleben der Völker bedeutet, was da an geschichtlicher, traditioneller und kultureller Bindung mitspielt, was an landsmannschaftlicher Eigenart sich entfalten und bewahren will, in einem zentralistischen Überstaat niederwalzen zu wollen. Das wäre ein Verbrechen an den europäischen Völkern.
Diese Konstruktion ist meiner Ansicht nach aber auch gar nicht notwendig. Ich jedenfalls kann mir nur mit Grauen vorstellen, was ein solcher zentralistischer Überstaat an echten Werten alles vernichten würde, wenn er aus dem System heraus über nationale Eigenarten und geographische Notwendigkeiten hinweg mit brutaler Hand dirigierend eingreifen wollte oder müsste. Wir würden Marionetten werden gegenüber Mächten, von denen wir nichts wissen.
Wer soll denn überhaupt dieser Überstaat sein, wer soll in ihm verkörpert werden? Soll da etwa ein Gremium paritätischer Zusammensetzung über unser Schicksal entscheiden? Nein, Europa kann nur gebaut werden, indem wir zwischen den einzelnen Ländern und Nationen die Schranken niederzureissen bereit sind … . Derjenige, der die Devisenzwangswirtschaft überwindet, hat als Beginn mehr für Europa getan als alle Gremien, Institutionen, Parlamente und Regierungen zusammengenommen.»
Diese Zitate von Ludwig Erhard stammen aus dem Buch «Vision und Tat – Ein Ludwig-Erhard-Brevier» von Gerd Habermann (Hrsg.), publiziert in der Reihe «Meisterdenker der Freiheitsphilosophie» bei NZZ Libro.
In dieser Artikelreihe über Klassiker der liberalen Schule, deren Aussagen bis heute Gültigkeit haben, erscheinen auch Texte von Adam Smith, Benjamin Constant, Lord Acton, Ludwig von Mises, Alexander Rüstow, Wilhelm Röpke, Friedrich August von Hayek sowie Milton Friedman.