Das Schweizer Verkehrssystem stösst an seine Grenzen. Wer das Bevölkerungswachstum dafür verantwortlich macht, täuscht sich. Ursache ist in erster Linie die zunehmende Mobilität. Verglichen mit 1970 fahren wir heute mit dem Auto jedes Jahr mehr als eineinhalbmal so weit, die mit dem Zug zurückgelegten Kilometer sind sogar allein in den letzten fünf Jahren um über einen Viertel gestiegen, und Pendler gibt es heute doppelt so viele wie 1970, nämlich fast 60% der Erwerbsbevölkerung.
Wir fahren immer mehr durch die Gegend – tragen aber nicht die vollen Kosten, weder im privaten, noch im öffentlichen Verkehr – dort erst recht nicht. Und weil wir die wahren Kosten nicht spüren, reisen wir immer mehr und weiter. Der Kostendeckungsgrad im ÖV liegt bei 40%. Von jedem Franken, den der Personentransport dort kostet, zahlen wir nur 40 Rappen direkt als Nutzer. 60 Rappen zahlen wir als Steuerzahler.
Keine Kostenwahrheit und kein Verursacherprinzip
Die Schweizer Verkehrspolitik verstösst somit gegen zwei zentrale Grundsätze: die Kostenwahrheit und das Verursacherprinzip.
Wir berappen also die Kosten der Mobilität nur zum Teil über Benzinpreise, Vignetten, Verkehrssteuern, Bahnbillets, Halbtax- oder Generalabonnements. Den Rest subventionieren wir. Das hat gravierende Nachteile: Weil uns Mobilität so billig erscheint, konsumieren wir sie über Gebühr. Und deshalb müssen wir die Infrastruktur immer mehr ausbauen, verlieren viel Zeit im Stau – Zeit ist ja auch Geld – verbrauchen mehr Energie und zersiedeln das Land rasend schnell.
Wer konsumiert, soll auch zahlen
Mit «Mobility Pricing» könnte man die Nachteile der heutigen Verkehrspolitik beheben. Mobility Pricing bedeutet schlicht: Wer Mobilität konsumiert, trägt auch deren Kosten. Das ist eigentlich selbstverständlich, beim Verkehr scheint es aber so exotisch zu sein, dass man dafür ein englisches Wort benutzt.
Mobility Pricing umfasst zwei Dinge: Die Nutzer bezahlen die vollen Kosten – oder zumindest einen grösseren Anteil davon als bisher. Und je nachdem, wann sie fahren und wo, kostet sie die Fahrt mehr oder weniger.
In verschiedenen Ländern werden diese Grundsätze bereits umgesetzt. Auch in der Schweiz könnte man mit mehr Kostenwahrheit im Verkehr Staukosten sparen – also Zeit, Benzin und Ärger. Zudem würde man damit die Zersiedelung bremsen. Unter dem Strich würde das nicht mehr kosten, nur würden die Nutzer mehr und die Steuerzahler entsprechend weniger zahlen. Und man könnte sogar noch beim Kapazitätsausbau sparen, der oft allein zur Bewältigung der Spitzenbelastung nötig ist.
Im öffentlichen Verkehr liesse sich eine Differenzierung der Preise nach Strecken und Zeiten leicht umsetzen. Der 9-Uhr-Pass ist ein Schritt in diese Richtung. Im Strassenverkehr sind dagegen technische Installationen nötig. Ein Mautsystem für stauanfällige Tunnels wäre allerdings keine Hexerei. Und dank Informatik und Telekommunikation liesse sich auch in den Grossstädten der Verkehr verursachergerecht belasten. Das tönt für unser Land wie Utopie. Aber Erfahrungen andernorts zeigen, dass mehr machbar ist, als wir glauben.
Diese Aussagen machte Gerhard Schwarz im Beitrag zur Sommerserie «20 Köpfe, 20 Ideen» von DRS1 vom 16. Juli 2012. Der Beitrag fand viel Beachtung, weswegen wir ihn an dieser Stelle in Textform wiedergeben.