Ulrike Herrmann und Lukas Rühli diskutierten an der Abschlussveranstaltung des Films-for-future-Festivals über das Ende des Kapitalismus und über Klimaschutz. Rühli argumentiert, warum dieses Ende weder bevorsteht noch wünschbar ist. Und warum der Kapitalismus bei der Bewältigung von Ressourcenknappheit und im Kampf gegen den Klimawandel hilft, nicht schadet.
Ulrike Herrmann verschaffte sich mit ihrem Buch «Das Ende des Kapitalismus» eine Fangemeinde unter Wachstumsskeptikern, also Anhängern des Konzepts «Degrowth». Sie forderte darin, die Regierungen entwickelter Länder müssten auf Kriegswirtschaft umschalten, um die Klimakrise wirkungsvoll zu bekämpfen. Ein solcher Vorschlag lässt jedem Liberalen die Haare zu Berge stehen: Kriegswirtschaft bedeutet nicht nur Abschaffung der freien Marktwirtschaft, sondern in letzter Konsequenz auch Abschaffung demokratischer Grundwerte. Das ist derart extrem, dass man fast erstaunt ist, dass es nicht auch bei Wachstumsskeptikern auf mehr Vorbehalte stösst. Offensichtlich ist bei diesen jedoch die kapitalistische Weltordnung die Ursache allen Übels. Und so ist es denn auch nur folgerichtig, dass sie den Übergang zu einer staatlichen Planwirtschaft befürworten – auch wenn dies direkt in den Abgrund führen würde.
Im Folgenden finden Sie eine Zusammenfassung der Argumente von Lukas Rühli mit Ausschnitten aus dem Gespräch. Das Podium in voller Länge ist hier abrufbar.
Klimawandel ist kein inhärentes Problem des Kapitalismus
Die erste These von Hermann lautet, der Kapitalismus und die Klimakrise seien untrennbar miteinander verbunden, und der Kapitalismus müsse zur Bewältigung der Klimakrise nun leider enden. Sie leitet das aus ihrer ganz eigenen Definition von Kapitalismus her, wonach sich dieser auszeichne über den Einsatz von Technik, um Waren herzustellen, die mit Gewinn verkauft werden. Diese Technik brauche Energie und diese Energie werde fossil erzeugt, darum sei Kapitalismus gleichbedeutend mit Klimakrise.
Sogar, wenn man diese schlicht frei erfundene Definition heranzöge, folgt aus Kapitalismus natürlich nicht die Klimakrise, denn Energie lässt sich auch aus nicht-fossilen Quellen erzeugen. Der Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger ist ein Kernbestandteil jeder wirkungsvollen Klimapolitik.
Green Growth ist nicht nur möglich, sondern seit der industriellen Revolution Realität
Herrmann hält die Möglichkeit für Green Growth für beschränkt. Dabei ist die Industrialisierung ein einziges riesiges Beispiel dafür. Heute bevölkern 8 Milliarden Menschen diese Erde, und nicht nur relativ, sondern auch absolut leiden weniger denn je Hunger. Das wäre ohne ständige massive Reduktionen des Ressourcenverbrauchs pro Wertschöpfungseinheit gar nicht möglich gewesen. Und dieser Ressourcenverbrauch hat nicht nur relativ, sondern in diversen Bereichen auch absolut abgenommen. Die Luft in den Städten entwickelter Länder ist heute viel sauberer als vor wenigen Jahrzehnten. Das Gleiche gilt für die Gewässer. Die Waldfläche ist heute in Europa grösser als während vieler hundert Jahre. Und das alles, obwohl die Bevölkerung und ihr Wohlstand deutlich gewachsen sind.
Bescheidenere Konsummuster lösen das Problem nicht
Ressourcenprobleme wurden auch in der Vergangenheit nie nachhaltig durch eine Einschränkung unseres Konsums, sondern immer nur über Innovationen gelöst. Ende des 19. Jahrhunderts, als es erstmals signifikante Teile des Bürgertums zu nennenswertem Wohlstand schafften, waren die Strassen aufgrund der riesigen Mengen an Pferdemist kaum mehr passierbar. Verbote und Regulierungen halfen nichts. Die Erfindung des Automobils hat das Problem dann jedoch innert zwei Jahrzehnten gelöst. Der motorisierte Individualverkehr führte zu neuen Verschmutzungen, die wiederum durch Partikelfilter und Katalysatoren behoben wurden. Heute lösen zunehmend Elektroautos die Verbrenner ab.
Was den Klimawandel betrifft, bringt uns ein staatlich regulierter Rückbau unseres Wohlstandes ohnehin nicht in die Regionen, die für die Abwendung einer Klimakrise nötig wären. Weltweit müssen die Emissionen bis 2050 auf netto-null reduziert werden. Das funktioniert nur über die Ablösung von fossilen durch erneuerbare Energieträger, was Innovationen erfordert, für die wiederum in einer florierenden Wirtschaft mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, als in einer staatliche zurückgebundenen.
Die Angebotsseite (von fossilen Energieträgern) wird ignoriert
Ansätze wie jener von Hermann fokussieren auf Konsum und Produktion. Sie ignorieren die Angebotsseite und sind daher zum Scheitern verurteilt. Fossile Energieträger können in vielen Ländern zu sehr geringen Kosten gefördert werden. An diesen Förderquoten wird sich nichts ändern, wenn der Westen die Nachfrage durch eine staatlich herunterregulierte Wirtschaft reduziert. Dadurch sinkt in erster Linie der Weltmarktpreis für fossile Energieträger, was diese für Länder, die diesem Regime nicht folgen, umso attraktiver macht, und von einem Umstieg auf Erneuerbare abschreckt. Nur Innovationen, die erneuerbare Energieträger weltweit günstiger und praktischer im Umgang als fossile machen, führen zu einem weitgehenden Zusammenbruch der Nachfrage nach letzteren, wodurch erreicht würde, dass diese im Boden bleiben.
Selbstmord aus Angst vor dem Tod
Wenn es nach Herrmann geht, sollte der Westen seinen Wohlstand auf das Niveau von 1978 reduzieren, um die Klimakrise abzuwenden. Machen wir das nicht, droht die Klimakrise und mit ihr der wirtschaftliche Einbruch. Wir müssen also einen wirtschaftlichen Einbruch staatlich herbeiführen, um ihn zu verhindern. Wem das widersprüchlich erscheint, dem geht es wie dem Verfasser dieser Zeilen.
Im Übrigen ist interessant, dass Herrmann plötzlich einen verblüffenden Optimismus an den Tag legt, wenn es um die Folgen des Wachstum Afrikas im 21. Jahrhundert geht. Dieses sieht sie als keinerlei Bedrohung für die Erreichung der Klimaziele, denn «ein Bewohner in Malawi emittiert jährlich nur 100 kg CO2». Dabei steht Afrika gemäss UN-Prognosen in diesem Jahrhundert ein Anstieg der Einwohnerzahl von 1,5 auf 4 Milliarden bevor, und deren – hoffentlich deutlich steigender – Wohlstand wäre ja gemäss Hermanns Definition ebenso inhärent mit CO2-Ausstoss verbunden. Während sie aber Europa den rechtzeitigen Umstieg auf erneuerbare Energien nicht zutraut, geht sie offenbar stillschweigend davon aus, dass das Bevölkerungs- und Wohlstandswachstum in Afrika von Beginn weg auf erneuerbaren und nicht auf fossilen Energieträgern beruhen wird.
Preis als Investitionssignal
Eine globale Bepreisung von Treibhausgasen mit einheitlicher Rückverteilung pro Kopf wäre nicht nur sozial- und geopolitisch fair, sondern sie würde auch die richtigen Investitionssignale für den Umstieg auf erneuerbare Energieträger setzen.
Die Wirtschaft und die planetaren Grenzen
Wachstumsskeptiker äussern oft den Vorwurf, die Theorie der Wirtschaft berücksichtige keine planetaren (Ressourcen-) Grenzen. Sie könnten damit kaum falscher liegen, denn genau das Gegenteil ist der Fall. Die Ökonomie ist die «Theorie der Wahlhandlungen unter Knappheitsbedingungen». Aufgabe ökonomischen Handels ist es also, mit knappen Ressourcen ein Maximum an Wohlstand zu erzielen.
Zeichnen sich planetare Grenzen bei gewissen Ressourcen effektiv ab (statt dass sie nur auf Basis linearer Extrapolationen für die Zukunft kolportiert werden), werden sie teurer, und «die Wirtschaft» sucht nach Ersatz. Gelänge das nicht, würden sich die damit produzierten Güter verteuern, was wiederum die Nachfrage nach ihnen reduziert. Das Klima ist insofern ein Ausnahmefall, als hier das Problem nicht die Knappheit der natürlichen Ressource «fossiler Energieträger» ist, sondern die fehlende Knappheit. Über eine konsequente Bepreisung fossiler Energieträger müsste diese Knappheit also sozusagen simuliert werden, um die nötigen Anpassungshandlungen auszulösen und den Klimawandel zu bremsen.