Die Schweiz tut sich mit der freien Schulwahl schwerer als andere Staaten, dabei würde sie der heutigen Segregation aufgrund des Wohnortes entgegenwirken. Zudem würde mehr Wettbewerb unter den Schulen die Qualität der Bildung erhöhen.
In kaum einem entwickelten Land haben Eltern sowie Schüler und Schülerinnen so wenig Freiheit in der Wahl der Volksschule wie in der Schweiz. Zur Schule im Dorf oder im Quartier gibt es selten Alternativen. Zwei Drittel der Sekundarschulleiter gaben in einer OECD-Befragung (2010) an, dass sie mit keiner anderen Schule im Wettbewerb um Schüler stehen. Damit liegt die Schweiz auf dem vorletzten Platz von 32 OECD-Ländern. In ländlichen Gegenden dürfte der Anteil lokaler Quasi-Monopolisten noch höher liegen. Es gilt der Grundsatz: Wo du wohnst, gehst du zur Schule. Bestrebungen, dies zu ändern, scheitern in den Kantonen (St. Gallen, Zürich, Thurgau, Baselland) regelmässig mit erdrückenden Nein-Mehrheiten von über 80 Prozent. Warum tut sich ein Land, das sich selbst als liberal versteht, mit der freien Schulwahl so viel schwerer als die meisten anderen Staaten?
Für viele verkörpert die Volksschule eine wesentliche Errungenschaft des modernen Bundesstaates. Die Bundesverfassung von 1874 schrieb erstmals obligatorischen, kostenlosen und vor allem konfessionsneutralen Unterricht in allen Kantonen vor. Dadurch sollte der kirchliche Einfluss in der Innerschweiz zurückgedrängt werden. Auch wenn der Gedanke an einen neuen Boom von Religionsschulen in der säkularen Schweiz abwegig wäre, überwiegt bis heute die Vorstellung, dass die Grundbildung vom Staat zu erbringen sei.
Mit einem Anteil von 5 Prozent ist die Bedeutung der Schweizer Privatschulen denn auch auffallend klein, zumindest quantitativ. Immerhin zählen viele von ihnen zu den besonders innovativen Schulen. Trotzdem regt sich der Widerstand gegen Liberalisierungen vor allem beim Einbezug privater Anbieter ins offizielle Auswahlmenü, z. B. mittels kantonaler oder kommunaler Bildungsgutscheine, mit denen die Nutzer privat geführte Schulen bezahlen könnten.
Zwar werden solche Modelle in mehreren Ländern (darunter Skandinavien) erprobt, in der Schweiz ist dafür aber noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber schon allein die Wahlfreiheit unter öffentlichen Schulen wäre ein wichtiger Schritt. Dafür könnte es in der Bevölkerung durchaus Mehrheiten geben. Dass damit die «Privatisierung der Bildung» eingeläutet werde, ist bewusste Schwarzmalerei.
Solche Argumente zeigen aber eines: In Bildungskreisen herrscht eine grundsätzliche Abneigung gegen alles, was irgendwie nach Wettbewerb riecht. Dass Wettbewerb auch ein Entdeckungsverfahren für Neues und damit im Grunde ein kreatives Prinzip ist, wird nicht zur Kenntnis genommen.
Das Reflexargument gegen mehr Wahlfreiheit lautet, der dadurch entstehende Wettbewerb unter Schulen sei sozial schädlich, weil sich die Einkommensschichten entmischten und die Bildungssegregation gefördert werde. Die Realität sieht anders aus. Die Bildungsnähe von Elternhäusern und damit die (vermutete) Qualität einer Schule spiegeln sich in höheren Mieten der Standortgemeinde. Wer seine Kinder in einer bevorzugten Gemeinde zur Schule schicken will, zahlt einen Eintrittspreis, den sich wiederum nur Gutbetuchte leisten können. Die Segregation ist also eine Folge des heutigen Systems. Heute hängt die Wahlfreiheit – sei es per Umzug oder per Privatschule – faktisch am Einkommen. Studien bestätigen, dass vor allem hohe Einkommen die freie Schulwahl ablehnen, denn sie verlören ein Privileg. Der Linken sollte dies zu denken geben.
Dieser Artikel erschien in der Rubrik Bildung des Politblogs im Tages-Anzeiger am 23. Juni 2015.