Die Schweiz erlebt derzeit eine intensive und zunehmend emotionale Verteilungsdebatte. Ob all der politischen Vorstösse und lauter werdenden Rufe nach mehr «Gerechtigkeit» hat sich bei vielen Menschen der Eindruck festgesetzt, die Schweiz sei ein Land mit starken ökonomischen und sozialen Gegensätzen, in dem sich die sprichwörtliche Schere immer weiter öffne. Diese Wahrnehmung hält indessen einer sachlichen Analyse nicht stand.
Eher trifft das Gegenteil zu: Im internationalen Vergleich gehört die Schweiz zu den Ländern mit relativ geringen Einkommensunterschieden. Die drei grossen Nachbarn der Schweiz weisen grössere ökonomische Ungleichheiten auf. Die neue Publikation von Avenir Suisse trägt einige zentrale Fakten und Zusammenhänge zur Einkommens- und Vermögensverteilung der Schweiz zusammen. Sie zeigt, dass zunehmende Umverteilung und Regulierung den heute breit verteilten Wohlstand der Schweiz aufs Spiel setzen.
Liberaler und gut funktionierender Arbeitsmarkt
Entscheidend ist der liberale Arbeitsmarkt. Die (noch immer) hohe Flexibilität von Lohnbildung und Beschäftigung, verbunden mit der integrativ wirkenden dualen Berufsbildung, führen dazu, dass die Vollzeitlöhne nirgends so gleichmässig verteilt sind wie in der Schweiz. Die hohe Erwerbsbeteiligung von 82% und die tiefe Arbeitslosigkeit von rund 3% begrenzen die Wohlstandsunterschiede. Die Verteilung der Primäreinkommen der Haushalte (der Summe von Löhnen, Kapital- und Mieterträgen vor Steuern und Transfers) ist deshalb in der Schweiz weniger ungleich als in den nordischen Ländern, die als speziell egalitär gelten.
Der Arbeitsmarkt begünstigte in den letzten Jahren allerdings die höheren Qualifikationen. Der Mittelstand konnte seine Position nur dank der verstärkten Erwerbsbeteiligung der Frauen halten. Die Unterschiede in den verfügbaren Haushaltseinkommen (Primäreinkommen nach Steuern, Abgaben und Transfers) haben darum – im Gegensatz zu den meisten Ländern – nicht zugenommen.
Vermögensverteilung weniger ungleich als angenommen
Besonders in der Kritik steht die «ungerechte» Vermögensverteilung. Ausgeblendet wird dabei einerseits, dass die progressiv ausgestaltete Vermögenssteuer die Reichen überproportional belastet, und anderseits, dass in der Steuerstatistik die Ersparnisse der zweiten und dritten Säule überhaupt nicht und Immobilien (Wohneigentum und privat gehaltene Renditeobjekte) nur mit 60% des effektiven Wertes erfasst werden. Diese fehlende Hälfte der privaten Vermögen ist deutlich gleichmässiger verteilt.
Langfristig ist das Wachstum eines Landes für das Wohlergehen der untersten Einkommensschichten wichtiger als die Verteilung der Einkommen. Auch in dieser Hinsicht schneidet die Schweiz gut ab. Pro Kopf hat das reale Volkseinkommen seit 1998 um 17,7% zugenommen. Von diesem Wachstum haben alle profitiert, die ärmeren Haushalte prozentual sogar stärker. Noch mehr Umverteilung und Markteingriffe führen hingegen in einen Teufelskreis. Eine solche Politik schwächt die Anreize zu arbeiten, zu sparen und zu investieren und bremst damit das Wachstum. – Und es entsteht neuer «Umverteilungsbedarf».
Mit einer generellen Lohnuntergrenze von 22 Franken pro Stunde (resp. 4‘000 Franken pro Monat), wie sie die Initiative des Gewerkschaftsbundes vorsieht, bekäme die Schweiz die höchsten Mindestlöhne in Europa – sowohl im Verhältnis zum mittleren Lohn als auch im kaufkraftbereinigten Quervergleich. Ein solcher Eingriff würde dem flexiblen Schweizer Arbeitsmarkt schweren Schaden zufügen und wäre längerfristig nicht im Interesse von gering Qualifizierten. Zum einen reduziert der Mindestlohn die Nachfrage nach einfachen Tätigkeiten, zum anderen geraten die Tieflohnbezüger vermehrt in Konkurrenz zu etwas besser qualifizierten Arbeitskräften.
Die Informationsbroschüre «Verteilung» und das Plakat «Reicher und gleicher» lassen sich hier herunterladen oder, auch in grösseren Mengen, kostenlos bei Avenir Suisse bestellen.